Das Haus der Tänzerin
zog sich rasch ihren alten blauen Frotteemorgenmantel an. Sie schoss aus dem Bett und rannte nach unten. »Charles, wo ist …« Sie blieb wie angewurzelt stehen und lächelte. Auf dem Sofa lag Charles und schnarchte, die Kleine lag zugedeckt neben ihm und griff nach oben, um mit einem Mobile aus bunten Papierschmetterlingen zu spielen, das er für sie gebastelt hatte.
54
London, Januar 2002
»Freya!« Charles stürmte durch den Wintergarten. »Freya!«
»Ich bin in der Küche«, rief sie. Die Titelmusik von The Archers drang durchs Haus. Freya blickte von den herzförmigen Törtchen auf, die sie gerade backte.
»Die Wehen haben eingesetzt, Frey. Irgendein Luca hat gerade angerufen.«
»Luca de Santangel. Das ist Macus Enkel.« Freya wischte sich Mehl von den Händen.
»Gott im Himmel, Macu hat Enkelkinder?« Charles ließ sich auf einen Stuhl am Küchentisch fallen.
»Sie hat Urenkel, Charles. Was glaubst du denn, wie alt wir sind? Zwanzig?« Sie löffelte Erdbeermarmelade auf die Teigförmchen.
»Ja, manchmal wahrscheinlich schon«, sagte er. »Ich kann es immer noch nicht fassen, dass unsere Em Mutter wird.«
»Hast du dich schon entschieden?«
»Weswegen?«
»Spanien, Charles. Wenn du nicht mitkommst, fahre ich allein. Em hat irgendein junges Kindermädchen, das ihr in den ersten Wochen hilft, sie braucht uns also nicht sofort. Ich dachte, vielleicht in ein oder zwei Monaten, wenn das Wetter besser ist?«
»Mal sehen. Es würde dir sicherlich guttun. Eine kleine Auszeit in der Sonne, nach all den Problemen, die du mit Delilah hattest.«
»Mit ihr kann ich umgehen.« Freya betrachtete die zwei säuberlichen Reihen von Herzen. »Ich mache mir Sorgen um Emma. Ich könnte es nicht ertragen, wenn das nun alles zwischen uns stünde, nicht nach all dieser Zeit.«
»Geheimnisse haben die unangenehme Angewohnheit, irgendwann gelüftet zu werden.« Charles zog den Finger durch das Mehl auf dem Tisch. »Ich war immer der Meinung, wir hätten ihnen schon vor Jahren die Wahrheit sagen sollen.«
»Das stimmt nicht!«, sagte Freya. »Du warst derjenige, der überhaupt damit angefangen hat. Wegen dir wurde unser ganzes Leben auf einer Lüge aufgebaut.«
»Frey, ich erinnere mich klar und deutlich, dass ich dir gesagt habe, wir sollten es Libby an ihrem achtzehnten Geburtstag …«
»Papperlapapp.« Sie richtete sich auf und stützte sich auf ihren Gehstock. »Wenn wir es ihr gesagt hätten, wäre sie sofort nach Spanien aufgebrochen, um Jordi und Rosa ausfindig zu machen, und es war immer noch nicht sicher. Die Vergeltungsmaßnahmen zogen sich noch über Jahre hin.« Freya zerrte an der alten Ofentür. »Verdammt«, schimpfte sie, als sich der Griff löste.
Charles brummte: »Lass mich das machen.« Er nahm ihr den Griff aus der Hand und versuchte, ihn wieder einzusetzen.
»Du hast gesagt, du würdest das reparieren lassen.«
»Noch eine Lüge?«
»Fang nicht an, Charles, lass das.« Freya wirbelte mit dem Tablett mit den Törtchen herum und stolperte. Das Tablett fiel klappernd auf den Boden. »Und jetzt sieh nur, was mir wegen dir passiert ist!« Sie betrachtete die kaputten Teigförmchen und die Marmelade, die auf den alten Holzboden lief.
»Mist. Tut mir leid, Frey«, sagte er. Ming kam und schnüffelte an einem Törtchen, bevor er die Flucht ergriff. »Trotzdem, selbst der Kater findet, dein Teig sieht ein bisschen trocken aus.« Freya lachte unwillkürlich, während sie den Besen holte. »Wieso backst du überhaupt Herzen? Bis zum Valentinstag sind es noch ein paar Wochen.«
»Ich wollte Em eine Schachtel schicken«, sagte sie. »Weißt du nicht mehr? Wir haben sie jedes Jahr gebacken.« Freya blinzelte.
Charles bemerkte das Zittern in ihrer Stimme. Er schlurfte auf sie zu und legte den Arm um sie. »Komm, altes Mädchen …«
»Nun sag bloß nicht ›Halt die Ohren steif‹.«
Er schaltete den Ofen aus. »Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust auf eine Bloody Mary im Club hast, um das Baby zu feiern.«
Freya legte den Besen weg und hängte sich bei ihm ein. »Das ist ja mal eine gute Idee. Glaubst du, Em wird uns jemals vergeben?«, fragte sie, während sie durch das Haus humpelten. »Sie klang so wütend, als ich zuletzt mit ihr gesprochen habe.«
»Sie hat einen großen Schock erlitten.« Charles nahm ihren grauen Wollumhang von den Haken an der Eingangstür und reichte ihn ihr.
»Ich kann das nicht ertragen. Ich habe mich immer vor diesem Tag gefürchtet.« Sie strich Charles’ Schal
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