Das Haus der Tänzerin
Das Schreien der anderen Babys störte sie. Es war dunkel. Wo bin ich? Wie lange habe ich geschlafen?, dachte sie. Ihr Körper tat ihr weh, ein eiskaltes Kribbeln lief durch sie hindurch. Sie war bis zum Kinn zugedeckt. Sie leckte sich die Lippen. So durstig war sie noch nie in ihrem Leben gewesen. O Gott, das Baby! Wo ist das Baby? Sie konnte sich immer noch nicht bewegen. Sie rollte den Kopf zur Seite und entdeckte Luca, der in einem Sessel döste, das Baby schlief in eine Decke gehüllt friedlich an seiner Brust.
»Luca«, flüsterte sie.
»Hey, du bist wach.« Er beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn. »Schau, was du gemacht hast.« Er hielt den Kleinen hoch, sodass sie ihn sehen konnte. »Er ist vollkommen, wunderschön.«
Emma hob die Arme, in denen noch die Infusionsnadeln steckten. Sanft legte Luca ihr das schlafende Kind in die Arme. Sie küsste seine winzigen Finger, atmete den weichen, sauberen Duft ein. Müde lächelte sie ihr Kind an. Das Baby bewegte sich, als es ihre Stimme hörte, die dunklen Augen blinzelten nachdenklich. Eine Strickmütze bedeckte seinen blonden Flaum.
Luca strich ihr über die Haare. »Du warst unglaublich.«
»Ich dachte schon …« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Es geht euch beiden gut, und du wirst dich wieder erholen. Und er hat zehn Finger, zehn Zehen – und eine kräftige Lunge.«
»Ah! Sie sind wach.« Eine Schwester eilte herbei. »Wir müssen einiges überprüfen.«
»Wasser …«, flüsterte Emma. »Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?«
»Nein, Sie dürfen ein paar Stunden keine Flüssigkeit zu sich nehmen.«
»Keine Flüssigkeit, und dann dieta blanda .« Sie überprüfte den Tropf mit dem Morphin und strich die Laken glatt. »Wenn er aufwacht, können Sie ihn stillen, ja? Bleibt Ihr Mann bei Ihnen?«
»Ich habe … musst du weg?«
»Nicht, wenn du es nicht willst. Paloma kommt dich morgen früh besuchen.«
»Bleib, das wäre schön.«
Die Schwester blickte neugierig zwischen Emma und Luca hin und her. »Gut. Ruhen Sie sich aus.«
Luca bückte sich und nahm ihr das Baby ab, setzte sich wieder in den Sessel neben ihr und murmelte dem Kind etwas auf Spanisch zu. »Wie willst du ihn nennen?«
Emma betrachtete die beiden. Das Baby wirkte winzig in Lucas großen Händen. »Joseph Luca Temple«, sagte sie leise.
»Wirklich?« Ein Lächeln zog über Lucas Gesicht, seine gleichmäßigen Zähne leuchteten weiß vor den dunklen Stoppeln an seinem Kinn. »Hallo, Joseph Luca.« Er küsste das Baby auf den Kopf. »Du gibst ihm nicht den Familiennamen deines Lebensgefährten?«
»Wir waren nie verheiratet. Jetzt, wo er nicht mehr da ist, möchte ich, dass sich das Baby wenigstens mit meiner Familie verbunden fühlt.«
»Vermisst du ihn noch?«
»Nein.« In diesem Moment merkte Emma, dass es stimmte. »Nicht mehr. Zuvor ja … ich meine, man kann nicht jahrelang mit jemandem zusammen sein und ihn dann nicht mehr lieben, oder?«
»Nein.« Luca sah plötzlich sehr müde aus. »Nein, das kann man nicht. Wenn dich jemand zurücklässt, ist die Liebe noch da, selbst wenn der Schmerz weniger wird.«
»Ist dir das so ergangen? Hast du auch jemanden verloren?«
»Ja.« Luca warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ich habe jemanden sehr geliebt, und beide wurden mir weggenommen. Meine Frau Alejandra. Vor ein paar Jahren hat sie ein Baby verloren und starb selbst bei der Geburt.«
»Ach, Luca, das tut mir so leid.« Emma griff nach seiner Hand.
»Ich konnte nichts tun. Ich konnte ihr nicht helfen.«
»Und seither hat es niemanden gegeben? Warst du nicht einsam?«
Er zuckte die Schultern. »Manchmal schon, aber ich habe viel zu tun, und da sind ja auch Palomas Kinder – sie sind wie meine eigenen.«
Emma sah ihn an, und sie fühlte mit ihm. »Würdest du Josephs Pate werden?«
»Danke«, sagte er lächelnd, »es wäre mir eine Ehre.« Luca strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Schlaf ein wenig.«
Bei Sonnenaufgang wachte sie von Josephs Geschrei auf. Über Nacht schien sie einen neuen Körper bekommen zu haben. Sie lachte ungläubig, als sie auf ihre Brüste hinunterblickte. Zumindest am Anfang fand sie es lustig. Das Baby jammerte vor Hunger, und doch konnte sie es nicht stillen. Luca brach auf, um zu duschen und zu frühstücken. Wund und blutig und zu stolz, um jemanden um Hilfe zu bitten, gab Emma schließlich auf und schluchzte.
»Emma!« Paloma kam mit einem riesigen Strelizienstrauß. »Ach, du armes Mädchen, was hast du nur
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