Das Haus der Tänzerin
Monaten klar sehen. Sie grub die Zähne in die süße Frucht, die ihr auf der Zunge zerging. Als sie aufblickte, merkte sie, dass Luca sie beobachtete.
Es wurde dunkel. Die Erwachsenen saßen da und unterhielten sich, während die Kinder lachend über die Wiesen rannten. Benito trug die Stereoanlage nach draußen, und die Leute tanzten im Hof.
»Er war sehr brav.« Luca hockte sich neben Emmas Stuhl. Er strich dem Baby über das Gesicht, das in ihren Armen schlief.
»Joseph? Ich glaube, er hat die Aufmerksamkeit genossen. Das hat er von seinem Vater«, sagte Emma kühl. Luca hatte den freien Arm um die Lehne ihres Stuhls gelegt, während er seinen Wein trank.
»Ist deine Freundin okay?«
»Woher soll ich das wissen? Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, saß sie bei dir auf dem Schoß.«
Lucas Lippen zuckten amüsiert. »Ist sie auch schwanger?«
»Weil sie ohnmächtig wurde? Nein, das war bei ihr schon immer so.« Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. »Wieso, bist du interessiert?«
Er zuckte die Schultern. »Ich habe gesagt, ich zeige ihr morgen Valencia. Komm doch mit.«
Emma blickte ihm finster nach, als er zu Delilah hinüberging.
»Zeige es nicht so offensichtlich«, flüsterte Paloma Emma zu. Anscheinend hatte sie ihre Gedanken gelesen. »Hier kennt keiner die Geschichte. Soweit sie wissen, ist sie deine beste Freundin und wegen der Taufe aus England gekommen. Du wirst keine gute Figur abgeben. Jemand wie sie kann sehr gut alle bezirzen – wie Macchiavelli, der Anschein der Güte, nicht wahr? Aber darunter, schätze ich …«
»Gott sei Dank bist du da.« Emma tätschelte Paloma die Hand. »Es würde sowieso niemand glauben, oder? Sieh doch nur, wie unkompliziert und reizend sie ist. Niemand würde glauben, dass sie mir die Liebe meines Lebens gestohlen hat.«
»War er das?«
»Joe?« Emma zögerte. »Ich … ich weiß es nicht. Er war der erste Mann, den ich je geliebt habe. Ich war praktisch noch ein Kind, als ich ihn kennengelernt habe.«
»Dann sei nicht voreilig.« Paloma lehnte den Kopf an Emmas. »Vielleicht kommt die Liebe deines Lebens ja noch.« Sie war nicht überrascht, als sie sah, dass Lucas Blick auf Emma ruhte und ganz und gar nicht auf Delilah.
61
London, März 2002
Charles saß im Hof neben dem Chelsea Gardener an einem Picknicktisch und trank Tee aus einem Styroporbecher. Er wartete auf Freya und las dabei den Newsletter vom International Brigade Memorial Trust. Die Todesanzeige für einen der Ärzte, der bei Bethunes Bluttransfusionsdienst mitgearbeitet hatte, erregte seine Aufmerksamkeit. Wie hieß der Kerl noch? Er dachte zurück an einen Tag im Jahr 1942.
Charles hatte sich eines Nachmittags im Häuschen herumgedrückt und versucht, seinen Mut zusammenzunehmen und Freya in Cornwall anzurufen, und reagierte erst, nachdem der Türklopfer mehrfach betätigt worden war.
»Wer, zum Teufel, ist das denn jetzt?« Charles hatte sich aufgerappelt und dabei eine leere Flasche umgestoßen. Auf dem Küchentisch standen Gläser und schmutzige Teller, in der Mitte die Katze, die eine Schüssel ausschleckte. Er torkelte durch das Wohnzimmer und stolperte über einen Stapel Bücher und Zeitschriften. Wieder klopfte es an der Tür. »Ich komm ja schon!«, rief er, riss die Tür auf und schaute hinaus. Es wurde bald Abend, und das Licht wurde schwächer. Angestrengt beäugte er den Mann auf der Türschwelle. »Womit kann ich dienen?«
Tom nahm seinen Filzhut ab und klemmte ihn sich unter den Arm. »Guten Tag«, sagte er und streckte Charles die Hand hin. Er faltete den Zettel mit der Adresse darauf wieder zusammen.
Charles erkannte Freyas Handschrift. Misstrauisch betrachtete er den Strauß weißer Rosen, den Tom in der Hand hielt. »Kennen wir uns?«
Tom lachte. »Nein, wir sind uns nie begegnet. Mein Name ist Tom Henderson, ich bin ein Freund von Freya. Sie müssen ihr Bruder Charles sein.«
»Sie wohnt leider nicht mehr hier.« Charles lehnte sich in den Eingang. Ihm drehte sich der Kopf, und Toms Gesicht schwankte vor seinen Augen.
»Es ist schon eine Weile her. Ich war in China, mit Bethunes Bluteinheit.«
»Bethune? An den erinnere ich mich.«
»Er starb 39, aber wir haben sein Werk fortgesetzt.«
Charles hatte das scheußliche Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. »Sie ist weg«, sagte er schroff.
»Haben Sie ihre neue Adresse? Ich habe Freya ein paar Mal geschrieben, aber nie etwas von ihr gehört. Ich fahre wieder nach Hause, nach Kanada, aber ich hoffte
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