Das Haus der Tänzerin
zusammen. Und er hat seine Enkelkinder noch kennengelernt, das hat er sich gewünscht.«
Freya stellte ihn sich vor, als Patriarch einer Schar dunkelhaariger Kinder. »Ich bin so froh, zu hören, dass er glücklich war.«
»Er hat Sie nie vergessen, Freya«, sagte er und schwieg einen Moment. »Was Sie damals alles erleben mussten.«
»O ja«, sagte sie und unterdrückte die Tränen. »Das ist richtig.«
»Er fragte sich … Ich weiß gar nicht, ob ich Sie das überhaupt fragen sollte. Dad hat nach Moms Tod viel von Ihnen gesprochen. Er fragte sich manchmal, ob Sie es bedauert haben, nicht mit ihm mitgegangen zu sein.«
Freya dachte an sein hübsches, offenes Gesicht, wie sehr sie ihn geliebt hatte. »Ich hatte auch ein wunderbares Leben.« Sie zögerte. »Aber ja, ich habe jeden Tag an ihn gedacht. Jeden einzelnen Tag meines Lebens.«
62
Valencia, März 2002
»Macht den Mund auf«, sagte Luca mit Blick auf seine Uhr.
»Wieso?«, fragte Delilah.
»Vertraut mir! Die Mascletà-Feuerwerke …« Es gab eine gewaltige Explosion. Die Luft zitterte, und vom überfüllten Stadtplatz her erscholl Jubel.
Emma bekam große Augen vor Schreck. Für sie war es, als würde die Luft schillern, sich zersetzen – der Lärm war wie ein körperlicher Schlag, der beißende Rauch überwältigte sie. »Warum machen die das?«, rief sie.
»Da spürt man, dass man am Leben ist!« Luca lachte und führte sie durch die Mengen der Feiernden zu ihrem Auto in der Nähe der Plaza la Reina. Ein Abbild der Jungfrau, so groß wie die Kathedrale, ragte über ihnen auf, beschirmt von einem blau-weißen Dach. Fallas-Königinnen reichten Nelken hinauf zu den Männern, die auf dem Gerüst herumkletterten und die Stiele hineinsteckten, aus denen das Kleid der Jungfrau gewoben wurde. Als das Gedränge nachließ, fragte er die beiden Frauen: »Worauf habt ihr jetzt Lust? Wollt ihr die Küste sehen oder etwas essen? Oder zum Stierkampf?«
»Oh, zum Stierkampf!« Delilah hängte sich bei ihm ein.
»Bist du sicher? Wir wollen nicht riskieren, dass du wieder in Ohnmacht fällst«, sagte Emma.
»Ich bin mir sicher, dass Luca sich um mich kümmern würde, und man sollte alles einmal ausprobieren.« Delilah schob ihre Sonnenbrille nach unten und blickte ihn unter ihren rußschwarzen Wimpern hervor an. »Oder auch zweimal, wenn es Spaß gemacht hat.«
Emma kämpfte gegen die Versuchung an, Luca in den Arm zu boxen, als er lachte. Sie fixierte Delilahs schlanken Rücken, während sie weitergingen. Sie hatte die Schultern gestrafft, sodass sich die Schulterblätter abzeichneten. Sie trug Pink. Emma wusste, dass sie dadurch feminin, verletzlich wirken wollte. Emma sah nervös zu Luca hinüber. O Gott, er kann den Blick nicht von ihr abwenden. Ich komme mir vor, als hätte ich ein Zelt an. Der Wind hob Emmas weites, weißes Baumwollkleid ein wenig hoch.
Emma hatte das Risiko nicht eingehen wollen, Delilah mit Luca allein zu lassen, deshalb war sie mitgegangen und hatte Joseph zu Hause bei Solé gelassen.
»Erster!«, rief Delilah und sprang auf den Vordersitz von Lucas Auto. Er öffnete Emma die Tür, und sie stieg hinten ein.
Luca fuhr durch die engen Nebenstraßen und reihte sich dann auf der Guillem de Castro in den Verkehr ein. »Du bist also das erste Mal in Valencia, Lila?«
»Ja. Ich finde es großartig.« Sie beugte sich vor und schaute hoch zu den Zwillingstürmen der Torres de Quart. »Sieh dir nur diese wunderbare Burg an! Wie aus einem Märchen. Wie bei Rapunzel.«
»Das ist keine Burg. Sie gehörten zu der alten Mauer. Ich glaube, es wurde eine Zeit lang als Frauengefängnis genutzt.«
»Wann war das?« Emma blickte zu den gotischen Türmen hinauf und dachte an Rosa. War sie dort im Gefängnis, bevor sie nach Ventas kam? Sie stellte sich die vielen Frauen vor, die mit ihren Kindern in den kalten Steinräumen zusammengepfercht wurden.
»Ich weiß es nicht. Vor langer Zeit. Kennt ihr die Geschichte von El Cid?« Luca fuhr weiter. »Charlton Heston ist von diesem Turm aus losgeritten, auf sein Pferd gebunden.«
»Wie romantisch!«, sagte Delilah und starrte die gewaltigen Steintürme an, die übersät von Einschlaglöchern von Kanonenkugeln waren. Durch den Torbogen sah sie mehrere riesige Figuren aus Pappmaché. »Die sind aber ein bisschen makaber, oder? Meintest du das ernst, als du sagtest, sie würden diese ganzen Dinger morgen anzünden?«
»Natürlich«, erwiderte er. »Es ist die letzte Nacht des Fallas-Fests, la Cremà. Die
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