Das Haus der Tänzerin
ist das? Die ist ja verrückt!« Noch während er das sagte, wusste Charles, wer sie war. Das Mädchen von dem Foto. Ihm blieb das Herz stehen.
»Hast du Gerda noch nicht kennengelernt?« Hugo hatte gelacht. »Sie hat vor nichts Angst, genau wie Capa. Das sind zwei Spieler, Charles, sie spielen mit dem Leben. Sie sind wie zwei Kinder, die ineinander und in das Leben verliebt sind. Für sie ist das ein großes Spiel.«
Charles sah zu, wie Gerdas Kopf in einem Deckungsgraben verschwand, das Sonnenlicht schimmerte auf ihrem rotblonden Haar.
Der kleine Fuchs, dachte er, als er die Männer um sie herum betrachtete, und wünschte verzweifelt, er wäre der Mann, der neben ihr herlief.
Am nächsten Morgen gelang es Charles endlich, mit ihr zu sprechen. Auf dem Weg zu den Autos unterhielt er sich im Korridor der Casa de Alianza mit einer der Sekretärinnen.
»Können Sie das bitte sofort ins Pressebüro im Telefónica-Gebäude schicken?«, sagte Charles. Er wollte seinen Bericht noch rasch abändern und zerriss dabei versehentlich das dünne, durchscheinende Papier mit dem Stift. »Verdammt. Das Zeug ist furchtbar.«
Die Sekretärin lachte. »Wenigstens haben Sie noch Papier! Ich kenne ein paar Mädchen, die auf Toilettenpapier tippen müssen.«
»Hey! Sind Sie Charles?«
Charles blickte von dem Entwurf seines Berichts auf und sah Ted Allan durch eine offene Schlafzimmertür. Er tippte auf einer Royal-Schreibmaschine. »Danke«, sagte er und reichte der Sekretärin den Bericht. Er hoffte, er würde den wichtigen Stempel der Zensoren bekommen. Charles fuhr sich durch seine blonden Haare, dann ging er zu Ted.
»Charles Temple. Ich arbeite für den Manchester Guardian .«
»Freut mich. Ich habe Sie gestern beim Lunch gesehen. Capa hat gesagt, da würde sich ein kleiner Engländer herumtreiben.« Er stand auf und reichte Charles die Hand. »Ich war gestern Abend bei Beth, und Ihre Schwester hat mich gebeten, Ihnen das hier zu geben.« Er reichte Charles ein in Papier gewickeltes Brett.
»Danke.« Charles packte es aus. Es war eine detailgetreue Zeichnung von einem orangefarbenen Wäldchen, in der Ferne leuchteten lila Berge.
Ted sah ihm über die Schulter. »Die junge Freya ist ja eine Künstlerin.« Er legte den Kopf schief. »Beth liebt Kunst. Er will sie ein bisschen entspannen.«
Das kann ich mir vorstellen, dachte Charles und sah sich verstohlen in Teds Zimmer um. Kleiner Engländer, so was. Er war genauso groß wie dieser Amerikaner. Charles erstarrte, als er Gerda bemerkte, die im Schneidersitz auf dem Bett saß, den Kopf über eine Kamera gebeugt, und einen neuen Film einlegte. Als sie aufblickte, leuchteten ihre kurz geschnittenen, rotgoldenen Haare wie ein Heiligenschein in der Morgensonne. Kühle Augen beobachteten ihn – er hatte das Gefühl, sie würde ihn ansehen und gleichzeitig durch ihn hindurchsehen wie eine Katze.
»Kennen Sie Gerda?«, fragte Ted.
»Nein, es freut mich wirklich sehr.« Charles ging zu ihr und reichte ihr die Hand. »Sie sind auch Fotografin?«
»Ja. Und du?«
»Ich lerne das noch.«
»Tun wir doch alle.
»Capa hat mir gesagt, Talent allein genügt nicht – man muss auch Ungar sein. Also kann ich es gleich bleiben lassen.«
Gerda lachte. »Typisch.« Sie stand auf und blickte zu Charles hoch. Er schätzte sie auf etwa eins fünfzig. »Eine Kamera ist nur so gut wie der Mann – oder die Frau –, die sie benutzt.« Ihre grünen Augen glänzten amüsiert, als sie ihm sanft die Finger auf die Brust legte. »Sie ist eine Verlängerung hiervon …« Sie berührte sein Herz. »Und hiervon«, sagte sie und legte ihm den Finger auf die Stirn, als würde sie ihn segnen. »Die Bilder sind da und warten auf dich.«
»Ach, ich …« Die Wörter blieben Charles im Hals stecken.
»Kommst du heute mit nach Guadalajara?«
»Ich … ja. Ich muss nur noch diesen Bericht durchschicken.«
»Wir warten auf dich. In unserem Auto ist noch Platz.«
»Danke.« Charles bemerkte Teds gekränkten Blick, als er sich an ihm vorbeidrängte.
Die drei jungen Reporter machten es sich in ihrem Auto bequem, als es auf die Plaza de Cibeles hinausfuhr. Gerda klappte den Kragen um die Ohren hoch.
»Ist dir kalt?« Ted legte den Arm um sie und hielt sie fest.
Charles beobachtete sie aus dem Augenwinkel, während er die Linse seiner Kamera reinigte.
»Wie kommst du mit der Contax klar?«, fragte Gerda.
»Gut. Womit arbeiten Sie? Äh, du?«
»Rollei«, sagte sie und drehte sich den beiden Männern zu,
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