Das Haus der Tänzerin
schnell. Die nächste Bombe ließ die Erde erbeben. Freya und Gerda kauerten sich in einem Eingang zusammen und warteten auf eine Unterbrechung des Bombardements. Freya blickte die Straße hinunter.
Sie hustete, Rauch und verbrannten Staub in der Lunge. »Wie weit noch?«
»Sie ist in dem Restaurant an der Ecke. Der Inhaber sagt, sie wollte auf dem Weg zur Arbeit ein Glas Wasser trinken.« Gerda sprach lauter, als die Flugzeuge wieder über ihnen kreisten. »Sie haben den Bahnhof bombardiert«, rief Gerda. »Gerade ist ein ganzer Zug mit Brigadesoldaten angekommen.«
»Hat es sie erwischt?«
Gerda schüttelte den Kopf. »Aber es gibt schlimme Verletzungen. Ich habe Frauen gesehen, die unter freiem Himmel standen, ihre toten Kinder im Arm. Auf dem Bahnsteig, da war ein Arzt, der einfach nur geflucht hat …«
Freya schimpfte verärgert. »Was soll das nützen?«
Gerda hielt sich die Kamera vor das Auge, fotografierte die Silhouette eines Flugzeugs über ihnen vor dem lodernden Himmel. »Los.« Die beiden rannten die Straße entlang.
»Ich war den größten Teil des Tages drüben beim Leichenhaus«, sagte Gerda. »Ich habe die Leute fotografiert, die dort Schlange standen, um herauszufinden, ob ihre vermissten Familienmitglieder unter den Toten sind. Mein Gott, diese Leute haben Mut. Wenn sie über die Bomber reden, dann immer voller Würde und Verachtung statt voller Angst.«
»Sie haben so viel durchgestanden. Sie werden auch das hier überleben.« Freya rutschte auf den kaputten Ziegeln aus, die vor dem gekachelten Eingang des Restaurants lagen, als Gerda die Tür aufstieß. Der unverkennbare klagende Schrei einer Frau, die in den Wehen lag, begrüßte sie. »Rosa!«, rief Freya.
»Wo warst du denn?«, brüllte Rosa. Sie war auf allen vieren unter einem massiven Steinbogen neben dem Essbereich, mit einer Hand griff sie hinauf zu der Marmorsäule. »Alle anderen sind weg! Diese Feiglinge verstecken sich im Keller. Ich habe gesagt, ich riskiere es hier …«
»Jetzt bin ich ja da«, sagte Freya. Sie wusch sich rasch die Hände hinter der Bar. »Gerda, siehst du mal nach, ob es in der Küche heißes Wasser gibt? Und Handtücher?«
Rosa fluchte unterdrückt. »Ich sag’s dir, nie mehr lasse ich einen Mann auch nur in meine Nähe …« Sie packte Freyas Hand, als eine Wehe kam. Freya strich ihr über die schweißnasse Stirn.
»Pass auf, Rosa, ich sehe jetzt nach, wie weit du schon bist.« Freya hockte sich zwischen Rosas Beine und hob ihren Rock an.
»Hier ist das Wasser«, sagte Gerda und ging neben ihr in die Knie.
»Holla!« Sie zuckte zusammen, als sie einen Blick auf das Köpfchen des Babys erhaschte, das sich schon zeigte.
»Halt ihr die Hand«, sagte Freya. »Sprich mit ihr.« Gerda eilte an Rosas Seite. »Wann haben die Wehen eingesetzt? Du hättest es mir sagen sollen.«
»Schon eine Weile. Ich will das Baby nicht in diesem Haus bekommen, nicht, wenn er da ist. Ich dachte, ich schaffe es ins Krankenhaus.« Rosa schürzte die Lippen und hechelte.
»Du machst das richtig gut. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Bereite dich darauf vor zu pressen. Der Muttermund ist ganz offen, das Baby ist bereit zu kommen.« Freya nahm die Handtücher und legte sie auf den Boden. Sie rieb ihrer Freundin die Schenkel und beruhigte sie, so wie sie ein verängstigtes Tier beruhigen würde. »Atme ganz leicht, wenn du kannst …«
»Leicht atmen? Dich möchte ich sehen …«
»So, und jetzt pressen«, sagte Freya, als sich Rosas Worte in einen Schrei verwandelten. »Komm, Rosa!«
Die drei Frauen verbrachten die Nacht in dem flackernden Lampenlicht. Es gab nur noch unregelmäßig Strom, und irgendwann saßen sie schließlich im Dunkeln. Die Bombeneinschläge untermalten Rosas Schreie, während Gerda Kerzen auf den Restauranttischen anzündete und sie ihr brachte. Bei jeder Explosion bebten und klirrten die Gläser hinter der Bar. Als die Flugzeuge gegen Sonnenaufgang schließlich die Stadt verließen, gellte Rosas letzter, markerschütternder Schrei durch die Luft, gefolgt von dem schrillen Gebrüll ihres Kinds.
»Ein Mädchen!«, sagte Freya und legte Rosa das Baby in die Arme. »Ein schönes, vollkommenes Mädchen.«
»Natürlich ist sie vollkommen«, sagte Rosa. Tränen zogen nasse Spuren durch den Staub auf ihren Wangen, als sie sich gegen die Säule lehnte. Sie blickte in die dunklen Augen ihrer Tochter. »Sie sieht genauso aus wie ihr Vater.«
»Du warst großartig«, sagte Gerda und deckte sie mit einem
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