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Das Haus der Tänzerin

Das Haus der Tänzerin

Titel: Das Haus der Tänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Lord Brown
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Lackkästchen auf dem Tisch.
    »Es war für Parfum.« Emma nahm den Deckel ab. »Als Mum gestorben ist, hat sie es mit Briefen für mich gefüllt. Ich habe bisher nur ein paar davon gelesen. Ich will noch länger etwas davon haben.«
    »Vielleicht versuchst du, noch länger etwas von ihr zu haben?«
    »Vielleicht.«
    »Ich kenne das«, sagte er. »Ich weiß, wie schwer es ist, jemanden loszulassen.«
    Als seine Mutter Luca am Arm zog, gingen sie weiter die Straße entlang. Er roch die Gardenien, die Emma für ihn zu einem Anstecksträußchen gebunden hatte und die nun an Dolores’ Mantel steckten. Der schwere Duft erinnerte ihn an Emmas schlanke, anmutige Hände. Wegen ihr war nun alles anders. Sein mönchisches Schlafzimmer kam ihm nun plötzlich vor wie eine Zelle. Sein Schrank war voll mit Kleidung, die er schon seit Jahren trug, und trotzdem fand er nichts, was ihm gefiel. Er saß immer noch jeden Dienstag am selben Tisch in der Bar in El Carmen, um Schach zu spielen und mit Olivier zu trinken, und doch wirkte es anders. Er sah aus wie immer, als er durch die Stadt lief, wie ein ganz normaler Mann, der seiner Nichte zuschaute, wie sie die Tauben aufscheuchte. Immer wieder kam die Kleine mit ausgestreckten Armen zu ihnen, und ihr Lachen blubberte aus ihr heraus wie frisches Wasser aus einem Bach. Auch für sie war die Welt neu und voller Wunder. Niemand sah es ihm an. Niemand sah ihm an, dass er in Gedanken über den Platz rannte, lachend wie ein Kind, das Herz voller Liebe.

29

    Valencia, Mai 1937
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal Angst vor dem Mond haben würde«, sagte Freya. Sie lehnte sich gegen das Fenster im Lagerraum und rauchte. Nachdem sie die Zigarette ausgemacht hatte, verstaute sie sorgsam den Stummel für später in einem Metalletui in ihrer Tasche. Ein einzelner Suchscheinwerfer ging an und aus.
    Der klare Nachthimmel schien von Osten her dunkler zu werden, ein einziger Ton, der alles durchdrang. »Herrgott, sie kommen zurück«, rief jemand in der Dunkelheit.
    Freya wartete, sicher, dass es wieder ein Blutbad geben würde. Die Flugzeuge flogen Richtung Krankenhaus, kamen näher. Da war es, das Heulen, es wurde immer stärker. Das schrille Pfeifen der herabfallenden Bomben. Würde es diesmal sie treffen?
    »Taschenlampe aus!«, rief jemand auf der Straße. »Die Miliz denkt sonst noch, wir geben den Flugzeugen Signale.«
    Dann erfolgten die Einschläge, die vernichtenden Explosionen – eins, zwei, drei. Ganz in der Nähe diesmal. Die Wand hinter ihr erzitterte, über ihnen entstanden Risse in der Decke, der Putz fiel herab. Sie blickte hinunter auf den Mann auf der Bahre neben ihr, er hatte ein weißes Tuch über dem Gesicht, das ihn vor Glas und Schutt schützen sollte. Eine vierte Explosion, lauter als die letzte, dröhnte durch das Gebäude.
    »Madre mia!«, rief die spanische Schwester, die mit Freya zusammenarbeitete. Ein Blitz erhellte das Zimmer, und als die Druckwelle Freya zu Boden warf, sah sie in dem Licht das entsetzte Gesicht der Schwester, wie auf einer Fotografie.
    Normalerweise sind Nachtangriffe nicht so heftig, dachte Freya, als sie sich wieder aufrappelte. Sie hielt sich die Ohren zu, um das Rattern der Gewehre nicht zu hören. Wieder eine Explosion. Die Fenster flogen auf, Glas splitterte.
    Draußen ertönten die Sirenen der Rettungswagen. Schwache blaue Scheinwerfer erhellten die Straße. Stille senkte sich über die Stadt, während sie warteten, dass die gewaltigen Bomber zurückkehrten. Sie hörte die eiligen Schritte von Leuten auf dem Weg zu den refugios .
    Freya fühlte sich verloren – sie dachte, dass es sinnlos war, sich in Kellern zu verstecken. Sie hatte gesehen, wie riesige Gebäude bei einem direkten Treffer in sich zusammenfielen, als wären sie aus Balsaholz. Und dann? Ein langsamer Tod, ohne Licht, ohne Sauerstoff? Freya verzog das Gesicht bei dem Gedanken. Der Lagerraum mit den Steinwänden war so gut wie jeder andere Ort. Sie blickte auf, als jemand ihren Namen rief.
    »Hier!«, rief sie. Eine schmale Gestalt kletterte über den Schutt im Gang, eine Kamera um den Hals.
    »Freya Temple? Ich bin Gerda, eine Freundin von deinem Bruder.«
    »Freut mich.«
    »Beeil dich. Das spanische Mädchen, Rosa …«
    »Wo ist sie?« Angst rann ihr durch die Adern wie Eis. Rosa war an diesem Abend nicht zu ihrer Schicht erschienen.
    »Nein, es geht ihr gut.« Gerda lächelte. »Sie ist ein paar Straßen weiter. Das Baby kommt.«
    Die Flugzeuge flogen tief und

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