Das Haus der Tänzerin
Brust. »Ich weiß, dass er lebt.«
28
Valencia, Dezember 2001
Luca betrachtete gedankenverloren das Wasser, das die sinnlichen Formen der liegenden Brunnenstatue umspielte. Er stellte sich Emma vor, wie sie sich an dem Morgen, an dem sie sich kennengelernt hatten, über den Platz von ihm entfernt hatte, wie das Licht der Herbstsonne weich durch den Saum ihres Baumwollkleids drang. Undeutlich sah er den Umriss ihrer Schenkel über dem Knie, den Schwung ihrer Hüften …
»Luca, qué pasa ?«
» Joder, Mamá …« Er wirbelte herum.
» Joder? Du sagst joder zu deiner Mutter? Ich wasche dir den Mund mit Seife aus.« Dolores hielt dem kleinen Mädchen, das neben ihr herlief, ein Ohr zu und hüllte es in ihren Rock, damit es nichts hören konnte. »Ich geb dir joder …«
»Du hast mich zu Tode erschreckt.« Er zuckte zusammen, als sie ihm auf den Arm schlug. Luca ging in die Hocke, kitzelte seine Nichte am Bauch und zog eine Grimasse. »Ich habe nur nachgedacht …«, sagte er beim Aufstehen.
»Über diese Frau.« Dolores schürzte die Lippen und machte den obersten Knopf ihres schweren schwarzen Mantels zu. »Ich kenne dich.«
»Emma ist nur eine Freundin.«
»Und du bist nur ein Mann.« Sie hängte sich bei ihm ein, als sie mit den Menschen, die aus der Basilika drängten, weitergingen. »Genauso fangen solche Sachen an.«
»Mamá, ich bin nicht auf der Suche nach Liebe.« Er steckte seine freie Hand in die Hosentasche. »Mit der Arbeit auf der Finca, der Verantwortung für unsere Ländereien, dir, den Familien, die wir ernähren, habe ich keine Zeit für die Liebe.« Er dachte an Oliviers Gelächter beim Essen, und seine Worte klangen hohl, noch während er sie äußerte. Luca blickte auf die federnden brünetten Löckchen seiner Nichte hinunter, den zarten weißen Scheitel. Er liebte seine Nichte und seine Neffen, als wären es seine eigenen Kinder – mit jeder Faser seines Herzens. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er sich Kinder gewünscht, sehr sogar, aber das war nun vorbei. Er hatte beschlossen, nicht mehr darüber nachzudenken.
»Ich sehe doch, wie du sie anschaust!«, murrte Dolores. »Ich habe Augen im Kopf. Aber überleg dir das, Luca, sie ist mit dem Kind eines anderen Mannes schwanger. Und sie wohnt in diesem Haus. Das wird nichts als Schwierigkeiten bringen.«
Luca ging langsamer, um sich seiner Mutter anzupassen. Emma hatte ihn durcheinandergebracht. Bisher waren seine Tage erfüllt gewesen, aber nun empfand er sein Dasein als ruhelos und leer. Abends hatte er im Kreis der Familie gegessen, oder er hatte sich mit Freunden in einer Bar in der Stadt getroffen. Wenn er sich einsam fühlte, gab es ein paar Frauen, bei denen er sich sicher sein konnte, dass sie nicht mehr erwarteten, als er geben konnte. Er genoss den Frieden, allein zu leben – er hatte eine bequeme Wohnung, groß genug für seine Bücher, einen Schreibtisch, ein Sofa, einen überdimensionalen Fernseher und ein breites Bett. Er hatte sich ein Leben geschaffen, das ihm angenehm war. Er hatte lange nicht wahrhaben wollen, dass er noch etwas anderes brauchte, bis er Emma kennengelernt hatte.
Dolores blieb auf der Straße stehen, um eine alte Freundin zu begrüßen. Im Schaufenster einer Bäckerei betrachtete er sein Spiegelbild. Sein Körper war etwas schwerer als damals, als er noch jung war, aber er fühlte sich wohl, er wurde nicht zu dick wie einige seiner Altersgenossen, die ihre Bäuche an ihren Schreibtisch oder gegen Cafétische pressten. Seine Haare färbten sich an den Schläfen grau, aber sie wurden noch nicht dünner, und er schaffte immerhin noch jeden Morgen zweihundert Sit-ups, bevor er mit Sasha in den Orangenhainen spazieren ging. Jeden Abend ging er in der Finca schwimmen, egal, bei welchem Wetter. Seine Mutter sah ihm vom Küchenfenster aus zu, wie er sich durch das Wasser kämpfte, hin und her, ohne auf die Blitze am Himmel zu achten. Er fand, er war nicht schlecht in Form, und fragte sich, was Emma wohl sah, wenn sie ihn vor Augen hatte.
Er hatte an diesem Vormittag eigentlich nicht beim Garten der Düfte vorbeigehen wollen, aber er hatte ihr spontan den Singvogel auf dem Markt gekauft. Er wusste, er würde Emma gefallen. Das passierte ihm in letzter Zeit oft. Mehrmals am Tag ertappte er sich bei dem Gedanken, dass Emma irgendetwas genießen würde, oder er hob sich besondere Neuigkeiten oder Geschichten auf, um sie ihr zu erzählen, wenn sie sich wieder trafen.
»Buenos días, Señor«, sagte Aziz,
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