Das Haus der Tibeterin
Berührung mit der weichen, noch klammen Glätte das Wunder dessen, was ihnen geschenkt worden
war. Er legte sein Gesicht an ihren Hals, spürte unter seinen Lippen, wie es in den Adern pochte. Ihrer beider Atem ging leicht, ihre selig ermatteten Glieder waren träge und warm. Nur halb wach und in tiefem Frieden sprachen sie leise zueinander, Mund gegen Mund.
»Hast du dir vorstellen können«, flüsterte Longsela, »dass es so sein würde? Ich meine - zwischen dir und mir?«
Er lachte leise und etwas verschämt.
»Nein, ich war viel zu erschrocken!«
»Da hast du aber gut simuliert. Ich dachte, du seist gefühlskalt.«
Jetzt lachten beide. Longsela sagte: »Ich … ich wusste es. Ich wusste es von Anfang an.«
»Was wusstest du?«
»Dass ich dich liebte.«
»Ich liebte dich auch. Aber ich hatte Angst.«
»Jetzt auch noch?«
»Nein, jetzt nicht mehr!«
»Werden wir uns jemals verlassen?«
»Na, und der Wahrsager? Willst du, dass er uns zürnt?«
Wieder erklang, erstickt und etwas überdreht, ihr zweifaches Lachen. Dann wurde Longsela wieder nachdenklich. Über ihr lebhaftes Gesicht glitt ein Schatten.
»Eigentlich sind es die Dzi-Steine, die meinen Wunsch erfüllt haben …«
Paldor berührte die Gemmen mit der Fingerkuppe.
»Dzi-Steine erfüllen Wünsche, ja, das sagt man auch bei uns.«
»Ich jedenfalls glaube daran.«
»Wo hast du die Steine gefunden?«
Sie antwortete zögernd.
»Sie sind ein Geschenk. Es ist eine seltsame Geschichte …«
»Erzähl sie mir!«
Sie erzählte, wobei ihre Stimme belegt klang. Eine seltsame
Versunkenheit hatte sie erfasst, und trotz der Wärme in ihrem Innern wurde ihr plötzlich kalt. Paldor sah, dass sie eine Gänsehaut hatte, und wickelte sie bis zum Kinn in die wattierte Decke.
»Diese Frau«, fragte er, »hast du sie nie wiedergesehen?«
»Nein, niemals, obgleich Vater und ich oft die Türkismine aufsuchten. Das Gestein ist magmatisch; vor vielen tausend Jahren war da ein kleiner Vulkanschlot.«
»Und die Nomaden?«
Longselas Blick verlor sich ins Leere.
»Einmal suchten wir ihren Lagerplatz auf. Die Einsamkeit lag wie ein Schatten auf allem, was wir sahen. Wo einst ihre Kochfeuer brannten, lagen nur noch Steine. Die festgestampfte Erde war glatt und hart, und der Wind hatte viel Sand aufgeweht. Von den Nomaden und ihrer Herde war keine Spur mehr vorhanden, nichts. Sie waren da, aber ich wusste nicht wo. Manchmal frage ich mich, ob ich sie nicht erfunden habe …«
Er lächelte ein wenig.
»Und die Kette? Hast du die auch erfunden?«
Sie ließ, leicht aufseufzend, die Steine zwischen ihren Fingern rollen; sie verursachten ein leises Klirren.
»Jedes Mal, wenn ich in der Nacht wach werde, spüre ich ihr Gewicht …«
Nach kurzem Schweigen sagte Paldor: »Immer mehr Chinesen kommen über die Ostgrenze. Die Nomaden halten sich versteckt. Lassen sie sich sehen, dann nur deshalb, weil sie bereit sind zu kämpfen. Und dann müssen die Chinesen sehr wachsam sein. Denn die Khampas werden das tun, was sie am wenigsten erwarten.«
Longsela nickte bedrückt. Auch ihre Eltern sprachen mit Besorgnis über das Vorrücken der Chinesen und den Aufstand der Khampas. Doch Longsela und Paldor, abgesondert in ihrer eigenen Wirklichkeit, wollten keine beunruhigenden Gedanken zulassen. Nichts anderes zählte als ihre Verbindung, die in
einem einzigen Wort lag, in ihre Herzen gebrannt: das Wort Liebe. Und sie genossen jeden Augenblick und überließen sich nur ihrer eigenen Freude.
Ein paar Tage später reiste Paldor mit seinen Eltern nach Shigatse zurück und regelte seine Angelegenheiten. Diesmal war das Warten nur kurz: Bereits einen Monat später, an dem von dem alten Astrologen auserwählten Tag, fand die Hochzeit statt. Aus Rücksicht auf Paldors Eltern sollte sich die Feier in bescheidenem Rahmen abspielen. Denn die Heirat war für die Familie des Bräutigams mit großen Kosten verbunden. Alle Geschenke wurden von Dienstboten in den Gebetsraum gebracht, der eigens für den Zweck mit kostbaren Stoffen ausgelegt worden war. Nicht nur Longsela, sondern auch deren Familie und vornehmlich ihre Mutter wurden an diesem Tag besonders beschenkt. Yangzom erhielt eine besondere Geldspende, zum Dank dafür, dass sie das Mädchen zur Welt gebracht und mit ihrer Milch ernährt hatte. Deswegen hieß diese recht hohe Summe auch »Brustpreis«. Ferner übernahm die Familie des Bräutigams auch die Kosten für das Festmahl und für die neuen Gebetsfahnen, die das Haus der Braut
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