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Das Haus der Tibeterin

Titel: Das Haus der Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica Cesco
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dachte über Kelsang nach. Seine natürliche Intelligenz, gepaart mit einer spielerischen Verschlagenheit, einem ausgeprägten Willen, es besser zu machen als die anderen, zeichneten ihn sowohl in der Familie als auch in der Schule aus.

    Sie sagte zu Ling: »Dauernd liegt er mir in den Ohren, dass er nach China will.«
    Die Freundin legte die Strickarbeit auf ihren Schoß. Sie zwinkerte mit den Augen, gutmütig und kummervoll.
    »Nein. Es ist viel zu früh. Wir haben großartige Lehrer in Peking. Sie achten stets darauf, dass die Schüler nicht vom rechten Weg abkommen. Gerät Kelsang aber an schlechte Freunde, wird er kaum erkennen, womit er es zu tun hat. Das könnte gefährlich für ihn sein«, sagte Ling abschließend.
    Das Gespräch verfing sich in Longsela wie ein Widerhaken, weckte in ihr ein unerklärliches Unbehagen, gemischt mit Angst. Später sollte es ihr noch oft in den Sinn kommen, nachdem Lings tragische Vorausahnung sich als nur zu richtig erwiesen hatte.

SECHZEHNTES KAPITEL
    Z u Neujahr kam Lhamo nach Lhasa zurück. Longsela und Paldor erwarteten sie mit einer Mischung aus Freude und Besorgnis. Über Lhasa prasselten Hagelstürme. Die Flüsse führten Hochwasser. Die Chinesen hatten gute Straßen gebaut, aber es kam oft vor, dass Regenfälle Steinlawinen auslösten und dass Brücken beschädigt wurden. Endlich traf Lhamo wohlbehalten in Lhasa ein. Die Schüler hatten die Reise auf Lastwagen zurückgelegt, ihre Bettmatratzen und Decken auf der Ladefläche ausgelegt und auch dort geschlafen. Mit Wechselgesängen hatten sie sich die Zeit vertrieben, hatten Mundharmonika gespielt und sich mit Händeklatschen und Sprechchören Mut gemacht. Die Stimmung war, trotz Regen und Hagel, ausgelassen. Lhamo sprach jetzt nahezu fließend Chinesisch und hatte sich ein großes Allgemeinwissen zugelegt. Ob sie gern im Internat war? Ja, sie war gern in diesem Internat. Ja, ein bisschen schwierig war es schon. Kelsang hörte zu, mit leuchtenden Augen. Ja, er würde auch gern nach Peking gehen, irgendwann einmal, so bald wie möglich. Dass Lhamo auch Unerfreuliches erzählte, störte ihn nicht. Dass ganz Peking eine Baustelle war, dass man das Schulgebäude in zwei Monaten fertiggestellt hatte. Und hatte nicht eine Mitschülerin, die Tochter eines Arztes, Lhamo anvertraut, dass der aus den Wänden sickernde feine weiße Staub Gift für die Lungen sei? Und war nicht kürzlich bei einem Erdbeben das Dach der Turnhalle eingestürzt? Zum Glück war es spätabends gewesen, und kein Schüler wurde verletzt. »Und dabei«, sagte
Lhamo, »war es nur ein schwaches Erdbeben! Nicht wie bei uns damals, als der Boden schwankte.« In den modernen Waschräumen roch es nach Chlor und DDT, und im Sommer vermehrten sich die Asseln ganz gewaltig. Den Schülern standen täglich nur zwei Eimer Wasser zur Verfügung. Sie mussten ihre Bettwäsche selbst waschen und auch im Winter unter Decken schlafen, die wenig wärmten. Man legte Wert auf Disziplin. Von den grauen Gesichtern, der täglichen Müdigkeit beim Frühsport, dem schlechten Essen erzählte sie nicht. Die Lehrer, die am Anfang sehr freundlich waren, behielten die Schüler ständig im Auge, behandelten sie zunehmend strenger und sagten: »Es gibt nur einen richtigen Weg, und den müsst ihr kennenlernen.« Als ein Junge fragte, ob er in China Buddhist sein könne, erwiderte der Lehrer, dass China den Buddhismus selbstverständlich achte. Aber es sei durchaus möglich, dass die Religion früher oder später nicht mehr gebraucht werde. »Wozu beten«, fragte der Lehrer, »wenn ihr fähig seid, euch alle Wünsche selbst zu erfüllen?« Manchen Schülern, erzählte Lhamo, gefiel das, was sie hörten. Sie fühlten sich aufgeklärt und erwachsen dabei. Die Tibeter allerdings behielten ihre Gedanken für sich und entwickelten - ohne zu begreifen warum - Gefühle des Trotzes und der Isolierung. Lhamo hatte schon im kindlichen Alter begonnen, ihr Umfeld kritisch zu beobachten, und war zu gewissen Schlussfolgerungen gelangt.
    »Ich möchte ja auch, dass meine Wünsche in Erfüllung gehen. Aber tun diese Lehrer wirklich, was sie selbst wollen? Ich habe eher das Gefühl, dass sie irgendwelchen Befehlen gehorchen. Ich jedenfalls kann nicht tun, was andere von mir verlangen, ohne gründlich darüber nachgedacht zu haben.«
    »Kind, was willst du damit sagen?«, fragte Großmutter Yangzom etwas verwirrt. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schaukelte ihn langsam.
    Lhamos Augen glitten über

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