Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
langsam den Broadway, die Hauptstraße von Thatcham, entlangspazieren, die Sonnenschirme leicht an die Schultern gelehnt. Die Sonne ist drückend, beinahe wie ein spürbares Gewicht. Ellie und John trödeln hinter ihnen und streiten um eine Tüte Lakritzstangen. Der Ort ist still und träge. Aus der Schmiede dringt das Klirren des Hammers auf Metall langsam und unregelmäßig auf die Straße heraus, als sei selbst Jack Mor ton, der doch so an Hitze gewöhnt ist, der Arm heute schwer. Wer in Thatcham überhaupt draußen unterwegs ist, geht langsam, die Gesichtszüge in der grellen Sonne verkniffen. Dicke Fliegen summen mit entnervender Beharrlichkeit um die Köpfe.
»Kommt, Kinder. Wir gehen zum Fluss hinunter und beobachten die Enten«, ruft Amelia über die Schulter. Ihre Stimme klingt scharf vor Ungeduld. »Du meinst diese Fotografien? Es wundert mich nicht, dass du deine Zweifel daran hast. Ich muss sie natürlich erst selbst gesehen haben, bevor ich mir ein Urteil erlaube, aber …« Sie zuckt mit den Schultern.
»Aber? Du vermutest, sie könnten … nicht echt sein?«
»Wie könnten sie echt sein? Entschuldige, Hetty, aber das geht zu weit. Feen . Also wirklich! Und du sagst, er war ganz allein, als er die Aufnahmen gemacht und entwickelt hat?«
»O ja. Albert geht nicht mehr mit ihm hinaus in die Auen, und die Kühlkammer darf niemand betreten. Seine Dunkelkammer, meine ich.« Hester macht vorsichtig einen großen Schritt über den gestromten Metzgershund hinweg, der mitten auf dem Gehsteig ermattet auf der Seite liegt. Er zuckt nur mit einem Augenlid, als ihr Rock ihn leicht streift.
»Na bitte, da haben wir es doch! Er hatte reichlich Gelegenheit, die Bilder zu manipulieren. Es ist mir ein Rätsel, wie er damit irgendjemanden überzeugen will, wenn sie so im Verborgenen entstanden sind«, verkündet Amelia.
»Nun ja, sie wirken durchaus … Also, man meint eine echte Person – nein, eine Gestalt darauf zu erkennen. Die ist nur so verschwommen, dass man schwer einschätzen kann, ob es sich dabei um eine Fee handelt oder nur um eine gewöhnliche Frau«, erklärt Hester zögerlich. »Aber eine Person – eigentlich unmöglich. Wer könnte das sein? Es wäre doch niemand bereit, an einem solchen Betrug mitzuwirken. Niemand im Dorf hat so langes, helles Haar oder würde sich vor Sonnenaufgang in den Auen aufhalten. Nein. Es muss irgendeine andere Erklärung geben … Vielleicht sind die Bilder ja doch echt. Albert zweifelt jedenfalls nicht daran.«
»Ja. Es ist nicht zu übersehen, dass Albert ganz … gefangen ist von alledem.«
»O ja. Er ist völlig überzeugt von allem, was Robin sagt«, stimmt Hester zu und versucht gar nicht erst, den Kummer aus ihrer Stimme zu verbannen.
»Bemerkenswert, dass die beiden sich nach so kurzer Zeit schon so nahestehen.«
»Allerdings, sehr nahe. Manchmal … manchmal ertappe ich Mr. Durrant dabei, dass er mich mit einem ganz seltsamen Gesichtsausdruck beobachtet, und ich frage mich …«
»Was denn, Hetty?«
»Ich frage mich, ob er Dinge über mich weiß, die er besser nicht wissen sollte.«
»Du meinst, Albert hat es womöglich an Diskretion mangeln lassen? Was euer … eheliches Verhältnis angeht?«
»So wie ich mich dir anvertraue, hat Albert sich womöglich Robin anvertraut«, antwortet Hester unsicher.
Amelia runzelt die Brauen und überlegt einen Moment lang. »Dieser kleine Vortrag von gestern Abend, über die Ekstase der Undinen … War das vielleicht eine Anspielung auf …?«
»Du weißt mit Sicherheit besser als ich, worauf er sich bezogen haben könnte«, erwidert Hester kläglich.
»Ich dachte, er wollte damit nur ein wenig Aufregung provozieren! Dieser Schuft!« Amelias leise Stimme klingt zutiefst empört. »Nun, das bestätigt nur den Verdacht, den ich von Anfang an gehegt habe, meine Liebe.«
»Welchen Verdacht denn?«
»Dass Mr. Durrant nicht so ist, wie es den Anschein hat. Sei bitte vorsichtig, meine Liebe. Lass dich nicht von ihm übervorteilen, und versuche, dich von dieser ganzen Feengeschichte zu distanzieren.«
»Wie soll ich mich davon distanzieren, wenn mein Mann sich so sehr dafür engagiert?«, fragt Hester. Amelia schweigt und wirkt ein paar Minuten lang tief in Gedanken versunken.
»Ich verstehe durchaus, wie schwierig diese Situation für dich ist. Es ist sicher das Beste, außerhalb des Pfarrhauses Schweigen zu wahren. Du kannst versuchen, gesunde Skepsis in Albert zu wecken, falls das überhaupt möglich ist, und hoffen,
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