Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
vielmals um Verzeihung, dass ich viel zu spät zurückgekommen bin, und ohne das Fleisch fürs Abendessen …«
»Mach dir deswegen keine Gedanken. Mrs. Bell fällt gewiss etwas ein. Sag mir nur – was ist geschehen?«
»Da war eine Frau im Ort … Sie hat eine Rede gehalten. Mrs. Hever, so hieß sie. Aber die Leute waren furchtbar grob zu ihr und wollten sie nicht sprechen lassen. Sie haben sie beschimpft und sie mit vergammelten Lebensmitteln beworfen, und … und sogar mit einem toten Tier, Madam, und davon ist sie in Ohnmacht gefallen. Ich habe ihr beigestanden.«
»Du hast ihr beigestanden? Wie meinst du das?«
»Ich … ich habe mich neben sie gestellt und den Leuten gesagt, dass sie Mrs. Hever erlauben sollen, ihre Rede zu halten. Aber das haben sie nicht, Madam. Die Polizei kam, und ich musste auf der Wache warten, bis … Mrs. Hever kam und sich für mich eingesetzt hat. Dann haben sie gesagt, ich dürfe gehen. Aber ich hätte nicht eher von dort wegkommen können, Madam, sonst wäre ich längst hier gewesen«, erklärt Cat, und sie klingt ganz aufrichtig. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft sieht Hester einen deutlichen, unmissverständlichen Ausdruck auf Cats Gesicht – Angst. Irgendetwas bereitet dem Mädchen großen Kummer.
»Ich verstehe. Dann sag mir bitte, worüber diese Frau eigentlich gesprochen hat? Oder zumindest sprechen wollte?«
»Das war … sie war … von der WSPU Newbury. Sie hat eine Rede über das Wahlrecht gehalten«, antwortet Cat widerstrebend.
»Ich verstehe, Cat«, sagt Hester seufzend, »aber das geht einfach nicht. All das liegt hinter dir, und da muss es auch bleiben. Nein, nein – ich glaube ja, dass es sehr anständig von dir war, dieser Mrs. Hever zu Hilfe zu kommen, und es hört sich so an, als hätten sich die lieben Leute von Thatcham alles andere als anständig verhalten. Mein Mann und ich waren durchaus bereit, ein Dienstmädchen mit einer schwierigen Vergangenheit einzustellen, aber ich weiß nicht, ob wir eines mit einer schwierigen Gegenwart behalten könnten. Verstehst du mich? Hier bist du unser Hausmädchen, und als solches kannst du nicht zugleich eine Suffragette sein. Cat? Darauf muss ich bestehen. Schlag dir das aus dem Kopf. Es geht nicht an, dass …«
»Ich kann meine Ansichten nicht einfach ändern, Madam«, erwidert Cat mit leiser, halb erstickter Stimme. »Ich darf mich vielleicht nicht mehr öffentlich engagieren, aber niemand kann mir vorschreiben, was ich zu denken habe!«
»Nun, also! Denken kannst du in der Tat, was du willst, obgleich es mir geradezu unnatürlich vorkommt …«
»Es ist nicht unnatürlich, dass Frauen das Recht haben wollen, über ihr Leben und ihr Schicksal selbst zu bestimmen … es ist nicht unnatürlich, dass sie ihre Situation zu verbessern suchen und die Zukunft ihrer Töchter …«
»Es mag ja sein, dass sie all das erreichen wollen. Aber dieses militante Vorgehen … dieses unweibliche Gebaren beweist doch nur, dass das zarte Geschlecht weder zum Regieren noch für die Politik geeignet ist. Es stünde allen Frauen besser an, eine gute Ehe zu schließen und ihre Männer im Kampf darum zu unterstützen, die Lebensbedingungen in diesem Land für alle zu verbessern. Wir sind die Engel am Herd, Cat, keine Krieger im Felde. Gott hat es so eingerichtet, und so sollte es immer sein. Ich bin mir sicher: Indem sie ihren Mann bessert, einen beruhigenden Einfluss ausübt und sein männliches Feuer mit ein wenig weiblicher Sanftmut mildert, würde eine Frau viel mehr erreichen als dadurch, dass sie Fensterscheiben einwirft und sich wie ein Gossenjunge prügelt.« Hester holt tief Luft, wirft Cat einen Blick zu und stellt fest, dass sich auf dem Gesicht der jungen Frau so etwas wie Mitleid abzeichnet, vielleicht sogar Verachtung. Doch sie löscht diesen Ausdruck rasch aus und kehrt zu dem gewohnten, undurchdringlich starren Blick zurück. »Nun, also, geh und wasch dich. Ich sehe wohl, wie erschöpft du bist. Ich würde dir gern erlauben, dich heute Abend auszuruhen, aber wir erwarten Mr. Durrant zum Abendessen, daher fürchte ich, dass wir dich brauchen werden. Nimm dir jetzt eine halbe Stunde Zeit, um dich zu säubern und ein wenig zu erholen. Und von dieser Sache will ich nichts mehr hören, und auch in Zukunft niemals wieder. Es ist ein Glück, dass mein Mann den ganzen Nachmittag lang mit seinen Pflichten in der Gemeinde beschäftigt war und somit von alledem nichts erfahren hat.«
»Robin – Mr. Durrant kommt also
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