Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
zurück, schon heute Abend?«, fragt Cat. Hester wirft ihr einen scharfen Blick zu, und dieser neutrale Ausdruck ist zwar immer noch da, doch es steht auch noch etwas in den Augen ihres Dienstmädchens, das sie nicht deuten kann.
»So ist es«, sagt sie, und es gelingt ihr nicht, ihr Unbehagen darüber ganz zu verbergen. Es macht ihre Stimme schriller und presst die Worte unangenehm zusammen, sodass ihre Antwort ein wenig knapper klingt, als sie beabsichtigt hat.
»Sie freuen sich sicher sehr«, sagt Cat. Ein anderer Ausdruck huscht ganz kurz über ihr Gesicht – die Brauen heben sich ein wenig, und ein Mundwinkel zuckt –, der ihrer Bemerkung einen deutlich ironischen Beigeschmack verleiht.
Hester errötet leicht und weiß nicht recht, was sie darauf erwidern soll. »Natürlich«, sagt sie schließlich.
Als Cat den Raum verlassen hat, tritt Hester ans Fenster. Zumindest, denkt sie, hat sie diese kleine Krise ruhig und vernünftig bewältigt, und nun kann alles wieder seinen harmonischen Gang gehen. Ein reibungslos funktionierender Haushalt und die Sorge dafür, dass die Dienstboten ihrer Arbeit frohgemut und umsichtig nachgehen, gehören zu den wichtigsten Aufgaben einer Ehefrau. Niemals sollte man zulassen, dass der Ehemann halb erledigte Hausarbeit und halb getrocknete Wäsche zu sehen bekommt oder mit anhören muss, wie die Dienstboten sich streiten oder getadelt werden. Sie ist froh, dass Albert den ganzen Tag außer Haus war und sie die Angelegenheit rasch und geschickt klären konnte, ohne dabei von Sophie Bells scharfem, zudringlichem Blick durchbohrt zu werden. Hester schaut in den verdorrten Garten hinaus, wo die Blütenblätter ihrer purpurnen Rosen wie große wächserne Tränen auf den Rasen fallen.
Es nützt nichts. Auch mit diesen klugen Prinzipien gelingt es ihr nicht, sich einzureden, sie sei tatsächlich froh da rüber, dass Albert schon den ganzen Nachmittag außer Haus ist. Seit sie ihn mit ihrer unerwünschten Liebkosung geweckt hat, seit sie diesen einen Teil seiner Anatomie zu se hen bekam, der ihr bis dahin ein solches Rätsel gewesen war, verbringt er mehr Zeit außerhalb des Hauses als darin. Außerdem hat er seine frühmorgendlichen Spaziergänge wieder aufgenommen. Er steht inzwischen so früh auf, dass sie erst heute Morgen im Dunkeln aufgewacht ist und feststellen musste, dass ihr Mann tatsächlich schon verschwunden war. Sie hat keine Ahnung, wohin er geht, denn er spricht nicht mehr mit ihr über seinen Tag. Sie beobachtet, wie eine Amsel eine Schnecke auf den Steinplatten des Gar tenpfads zerschmettert. Das scharfe Knack, Knack, Knack fährt wie Haarrisse durch ihre Gedanken und zersplittert sie, bis sie gar keinen Sinn mehr ergeben. Irgendetwas ist ganz furchtbar schiefgegangen, es treibt einen Keil zwischen sie und Albert, aber sie kann nicht erkennen, was genau es ist oder wie sie die Dinge wieder ins Lot bringen könnte.
Cat sieht Robin Durrant bewusst nicht an, während sie das Abendessen serviert. Der Pfarrer sprüht geradezu vor Lebhaftigkeit. Er hat einen Sonnenbrand auf Nase und Wangen, was ihm einen Ausdruck ständiger Aufregung verleiht. Er stellt Fragen über Fragen – mit wem der Theosoph gesprochen hat, was diejenigen gesagt haben, welches der nächste Schritt zu dem großen Ziel sein soll, den Massen Wahrheit und Erkenntnis zu bringen, und ob Robin so gut sein würde, die Abhandlung über ihre Entdeckungen zu lesen, an der er gerade arbeitet. Robins Antworten wirken im Vergleich zu den drängenden Fragen des Pfarrers ein wenig gedämpft, und Cat muss all ihre Willenskraft aufbieten, ihn nicht zu mustern, nicht in seinem Gesicht nach der Wahrheit zu forschen, die in seinen Worten natürlich nicht zu finden ist. Sie weiß, wo sie ihn antreffen wird, und als sie später auf den Hof hinaustritt, wartet er schon in der hintersten Ecke auf sie. Er raucht und geht mit gebeugten Schultern auf und ab.
»Und? Haben die Ihre Lüge geschluckt?«, fragt Cat mit einem freudlosen Lächeln. Robin wirft ihr einen strengen Blick zu, klappt seine Zigarettenschachtel auf und bietet sie ihr an. Cat steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen, und er zündet sie an, wobei er das Streichholz in der hohlen Hand gegen die frische Brise schützt, die himmlisch kühl über den Hof streicht.
»Es klingt abscheulich, wenn du es so hinstellst«, sagt er geistesabwesend. Er tritt von einem Fuß auf den anderen, als könnte es jeden Moment nötig sein, dass er davonläuft, oder
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