Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
solltest hier wohl lieber nicht stehen bleiben – fahr ein Stück die nächste Querstraße entlang, da findest du reichlich Parkplätze«, sagte Mark, nachdem ein Lastwagen sich vorbeigedrängelt und nur knapp Leahs hintere Stoßstange verfehlt hatte.
»Ist gut, warte kurz.« Sie reihte sich wieder in den Verkehr ein, kassierte dabei erneut zornige Gesten und Gehupe und folgte Marks Wegbeschreibung.
Auf dem Weg zurück zu ihm musterte sie das Gebäude, das einmal die Bluecoat School gewesen war. Jetzt, da sie es in Ruhe betrachten konnte, hob es sich sehr augenfällig von der umgebenden Architektur ab. Ein winziges, uraltes Bauwerk mit ockerfarben verputzten Wänden und einem steilen Giebeldach, dessen Form sich im Vordach über dem Eingang wiederholte. Die Fenster hatten steinerne Mittelpfosten und waren mit Brettern vernagelt, Scheiben gab es keine mehr. Eine Seitentür war kaum höher als einen Meter fünfzig, und die alten Mauern bargen mehrere leere Nischen.
»Aber – das muss doch eine Kirche sein, oder?«, fragte Leah, als sie neben Mark stehen blieb.
»Stimmt. Eine sehr alte sogar – ziemlich sicher das älteste Bauwerk in Thatcham, wahrscheinlich sogar eines der ältesten in ganz Berkshire. In der ursprünglichen St.-Thomas-Kirche war viele Jahre lang eine Hilfsschule untergebracht, zum Schluss war sie ein Antiquitätenladen. Inzwischen gehört sie der Stadt, die haben sie erst mal in Ordnung gebracht, und jetzt überlegen sie, was sie damit anstellen sollen«, erklärte er. Leah warf ihm lächelnd einen Blick zu.
»Du kennst dich anscheinend bestens aus.«
»Dieser Rektor hat mir die entsprechende Website genannt«, gestand Mark.
»Und er meint, hier hätte sie wahrscheinlich unterrichtet?«
»Das ist seiner Meinung nach zumindest der beste Kandidat, ja. Die Bluecoat School diente sozusagen als zusätzliches Klassenzimmer der damaligen Armenschule, und das ist die Einrichtung, die ehrenamtliche Hilfslehrerinnen wie die Pfarrersfrau am dringendsten gebraucht hätte.«
»Aber was ist mit dem eigentlichen Schulgebäude? Hätte sie nicht ebenso gut dort unterrichten können?«
»Ja. Aber dieses hier hat einen entscheidenden Vorteil.«
»Nämlich?«
»Es steht noch. Die anderen Schulgebäude hat man zwi schen den Weltkriegen abgerissen, um Wohnungen zu bau en.«
»Mist.«
»Allerdings. Zumindest besteht die Chance, dass sie dieses Gebäude gemeint hat – dass sie hier die Beweise ver steckt hat, was immer sie damals gefunden haben mag.« Er zuckte mit den Schultern.
»Kann sein. Können wir reingehen?«
»Ist abgeschlossen«, antwortete Mark kopfschüttelnd. »Der Hausmeister müsste aber jeden Moment kommen – er hat sich bereit erklärt, uns herumzuführen. Ich habe ihm erzählt, dass wir für ein Buch über Englands älteste Kirchen recherchieren, also benimm dich ja wie eine Gelehrte.«
»Warum hast du das behauptet? Du hättest ihm doch auch einfach die Wahrheit sagen können.«
»Ich fand, das hört sich irgendwie besser an. Und ich wollte ihm nicht erzählen, dass wir vielleicht gern irgendwelche Bodendielen aufstemmen und darunterschauen würden. Außerdem … so macht es mehr Spaß.« Mark grinste.
»Du hast in letzter Zeit wirklich sehr zurückgezogen gelebt, was?«, erwiderte Leah trocken. »Den Boden aufzustemmen könnte schwierig werden. Wir müssen eine Möglichkeit finden, nach irgendwelchen losen Brettern zu suchen. Wie wäre es zum Beispiel, wenn ich ihn bitte, mir draußen etwas zu zeigen, und du bleibst drin und siehst dir den Boden genauer an?«, schlug sie vor.
»Hervorragend! Zwei Agenten in geheimer Mission«, sagte Mark.
»Kann es sein, dass deine Fantasie gerade mit dir durchgeht?«
»Gut möglich. Das da müsste der Hausmeister sein. Denk daran, du bist Wissenschaftlerin und eine Expertin für alte Kirchen.«
»Verstanden.«
Ein dünner Mann in einer dunkelblauen Regenjacke kam eilig um die Ecke gebogen. Er hielt sich so krumm, als würde er in einer permanenten Entschuldigung katzbuckeln. Die Hand, die er ihnen entgegenstreckte, wirkte wie eine weiße Flagge. Der Hausmeister hieß Kevin Knoll, war bei näherer Betrachtung jünger, als Leah erwartet hatte, und blinzelte in der Frühlingssonne wie ein Maulwurf. Seine hellbraunen Augen schwammen hinter sehr dicken Brillengläsern. Sein Mund war klein, die Nase spitz, das ganze Gesicht und der Körper vermittelten den Eindruck, er sei von irgendeiner furchtbaren Angst gepackt. Doch er lächelte recht
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