Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
unmenschlicher von uns, sie gegen ihren Willen von ihm fernzuhalten. Ich habe ihr vorgeschlagen, ihm einen kurzen Brief zu schreiben und ihm zu erklären, weshalb sie ihm vorerst fernbleiben muss, doch sie sagte mir, dass er nicht lesen könne. Welch armer, einfacher Mensch er sein muss. Ich habe natürlich dafür gesorgt, dass Albert nichts davon erfährt. Ich fürchte, in seinem gegenwärtigen Geisteszustand würde er die beiden schnurstracks vor den Altar schleifen und sie verheiraten, selbst wenn sie noch keine Zärtlichkeiten ausgetauscht hätten, die über einen Kuss hinausgingen. Es bricht mir beinahe das Herz, wenn ich bedenke, dass auch ich daran mitwirke, sie voneinander fernzuhalten. Denn so fühle ich mich selbst – getrennt von Albert, von ihm abgeschnitten. Ich vermisse ihn, Amy!
Die Einzelheiten will ich nicht zu Papier bringen, doch vor etwa einer Woche, als Albert das letzte Mal nachts in unserem Bett schlief, ist etwas vorgefallen, das mir deutlich gemacht hat, wie genau das, was wir als Mann und Frau im Ehebett teilen sollten, geschehen müsste. Ich verstehe endlich, was Dich nach all der Zeit gewiss erleichtern wird. Doch kaum hatte ich diese Entdeckung gemacht, fand ich mich meinem Mann noch ferner als je zuvor. Er ist entsetzt vor mir zurückgewichen, Amelia. Vor meiner Berührung, dort. Wie, um alles in der Welt, soll es nun weitergehen? Ich bin mir sicher – obgleich ich Dir nicht erklären kann, warum –, dass jedwede Verbesserung unseres ehelichen Verhältnisses nicht möglich ist, solange Robin Durrant in unser beider Leben und unter unserem Dach verbleibt. Wenn er bei uns ist, so scheint es mir, als sei Albert eben nicht hier. Oder bin ich es, die dann nicht wirklich da ist? Kannst Du mir überhaupt noch folgen?
Nun, vielleicht hast Du in der Zeitung von unseren Elementaren gelesen? Soweit ich weiß, drucken auch einige der landesweit vertriebenen Zeitungen diese Geschichte jetzt ab, nachdem die Veröffentlichung in unserer Lokalzeitung eine solche Flutwelle von Zuschriften ausgelöst hat. Offenbar teilen eine Menge Leute unser beider Reaktion auf die Fotografien, Amy. Mr. Durrant hat bisher keine offizielle Rückendeckung von der Theosophischen Gesellschaft erhalten, was ihn sehr verärgert. Er hat darum gebeten, einen Experten herzuschicken, der die Entwicklung einer weiteren Aufnahme überwachen soll, um die Echtheit der Bilder zu beweisen. Woher ich all das weiß? Weil ich neuerdings an Türen lausche, liebe Schwester. Ja, in meinem eigenen Haus! Alberts Traktat stößt nicht auf solches Interesse. Er hat noch keine Buchhandlung gefunden, die bereit wäre, einige Exemplare vorzuhalten, und stattdessen eine Annonce in die Zeitung gesetzt. Nun versendet er zwei oder drei pro Tag auf postalische Bestellung, für zwei Pence pro Stück.
Ich wünsche mir von ganzem Herzen, Du wärest hier, und doch bin ich froh, dass Du nicht bei uns bist – denn die augenblickliche Atmosphäre in diesem Haus wünsche ich niemandem, geschweige denn einem Menschen, der mir so lieb ist wie Du. Und wie ist es Dir ergangen? Vor allem mit Archie, der Dir solchen Kummer bereitet hat? Ich hoffe sehr, dass es Euch gelungen ist, zu einem einvernehmlichen Verhältnis zurückzufinden, und dass Dein Heim ein glücklicheres ist als das meine. Ich wünschte, ich hätte irgendeinen Rat für Dich, doch ich bin so furchtbar unwissend. Ich kann mir auch nicht vorstellen, was Du mir unter diesen ungewöhnlichen und äußerst unangenehmen Umständen wohl raten könntest. Aber falls Du irgendeinen Rat für mich hast, bitte, liebste Schwester, schreibe mir nur recht bald. Ich weiß nicht mehr, was ich tun und was ich lassen soll und wie lange ich all das noch ertragen kann.
Von Herzen,
Hester
1911
Als sich der Schlüssel im Schloss herumdreht, beginnt es in Cats Ohren so laut zu dröhnen, dass sie fürchtet, ihr Kopf könnte platzen. Es spielt keine Rolle, dass Mrs. Bell Angst und Widerwillen ins Gesicht geschrieben stehen, als sie es tut. Es spielt keine Rolle, dass der Mond dennoch hinter dem Fenster aufgeht und das Glas in silbrigem Licht erstrahlt. Es spielt auch keine Rolle, dass man sie am Morgen wieder herauslassen wird. Nichts spielt eine Rolle außer der Tatsache, dass sie wieder eine Gefangene ist, machtlos und der Freiheit beraubt, nach ihrem eigenen Willen zu kommen und zu gehen. Sie ist wie der Kanarienvogel des Gentleman, der ihn mit zur Seite geneigtem Kopf ansah und nicht singen wollte. Schweigen war
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