Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Schritt näher, sodass seine Lippen ihre Stirn streifen, als er weiterspricht. Hester erschauert.
»Ihr seid ja so unschuldig! Du und der Pfarrer. Kaum zu glauben, dass solche Ahnungslosigkeit sich in einer Ehe derart lange erhalten kann. Normalerweise müsste diese Unschuld inzwischen verloren sein, verdrängt von Befriedigung, von Wissen und Erfahrung und schließlich von allzu großer Vertrautheit und Widerwillen. Natürlich kann ich nicht behaupten, selbst schon Erfahrung mit der Ehe gesammelt zu haben, aber ich habe das oft genug beobachtet, bei Freunden und Verwandten.« Er legt nur ganz leicht die Arme um sie, doch Hester ist gefangen. Sein Geruch erfüllt jeden ihrer Atemzüge, sein Körper ist ihr so nahe, dass ihre Haut vor Hitze erglüht, als berührten sie sich bereits. »Hast du mit ihm nie so etwas erlebt? Nicht einmal in eurer Hochzeitsnacht? Hat er dich nie berührt, dich geküsst?«, flüstert Robin. Hester bringt keinen Laut hervor. Sie schüttelt nur kaum merklich den Kopf – doch keiner von beiden hätte sagen können, ob das als Antwort auf seine Frage oder als Reaktion auf seine Umarmung gemeint ist. »Welch schänd liche Vernachlässigung ehelicher Pflichten! Und welch jämmerliche Verschwendung. Er verwehrt dir eine der größten Freuden des Lebens, Hester, und das, nachdem du so gut warst, dich für ihn aufzusparen.« Robin presst die Lippen auf ihre Stirn. Hester steht da wie gelähmt. Sie empfindet seine Berührung als schrecklich erregend und falsch zugleich und kann sich weder bewegen noch einen klaren Gedanken fassen. Sie schließt die Augen, und Robin küsst sie auf die Lider. »Soll ich dir zeigen, was er längst hätte tun sollen? Hester? Du siehst so hübsch aus mit deinem offenen Haar und Tränen auf den Wangen. Wenn du meine Frau wärst, würde ich keinen Augenblick verlieren …« Ich bin aber nicht deine Frau! , schreit Hester stumm, doch sie rührt sich immer noch nicht, denn unter ihrem Entsetzen über diese Untreue an Albert, unter ihrer Angst und Verwirrung will sie doch um all diese Dinge wissen, die er ihr zeigen möchte. Will es unbedingt wissen. Der Raum liegt in schützender Dunkelheit. Die macht sie unsichtbar, lässt sie darin verschwinden.
Als er sie auf den Mund küsst, sinkt sie an seine Brust, denn ihre Beine zittern. Und obwohl sie die Arme gegen seinen Körper stemmt, als wollte sie ihn abwehren, erwidert ihr Mund seinen Kuss gegen ihren eigenen Willen. Als er sich von ihr löst, lächelt er leicht. Wäre das sein gewohntes Lächeln gewesen, hätte sie vielleicht anders gehandelt. Wäre es ein triumphierendes oder befriedigendes oder auch ein spöttisches Lächeln gewesen, hätte sie vielleicht die Willenskraft aufgebracht, vor ihm zu fliehen. Aber es ist ein sanftes, zärtliches Lächeln, voll Bewunderung und Begehren, das sie sich so lange ersehnt hat, wenngleich von einem anderen Mann. Das Gewitter erhellt noch einmal sein Gesicht und taucht ihn in ein überirdisches Strahlen, so leuchtend, dass Hester die Augen zukneift. Er ist wahrhaftig schön. Sie schlägt die Augen nicht wieder auf, sondern lässt sich von ihm berühren, küssen und umarmen. Bei jeder Bewegung seiner Hände und Lippen spürt sie ihr eigenes, wachsendes Begehren – ein quälendes, beinahe unerträgliches Sehnen in ihrem tiefsten Inneren. Robin öffnet ihren Morgenmantel und schiebt sie rücklings auf das Fensterbrett. Als er sich diesem tiefen Sehnen entgegenreckt, spürt sie einen Schmerz, der sie schaudern und die Zähne zusammenbeißen lässt, zugleich aber unbeschreiblich wundervoll ist. Tausend glitzernde Funken stieben hinter ihren geschlossenen Lidern auf, sprengen ihre Gedanken in Stücke, lassen jeden Zoll ihres Körpers erglühen, bis sie lichterloh brennt. Für diese kleine Weile ist sie nicht sie selbst. Sie existiert nicht einmal mehr.
Als sie die Augen aufschlägt, zieht Robin Durrant sich keuchend die Hose hoch und knöpft sie umständlich zu. Schweiß schimmert auf seiner Brust und seiner Stirn. Hester steht wieder auf ihren eigenen Füßen, noch immer am Fenster, und während ihr Herzschlag sich beruhigt, beginnt sich ganz allmählich eiskaltes, Übelkeit erregendes Entset zen in ihr auszubreiten. Zwischen den Beinen spürt sie einen brennenden, stechenden Schmerz, und etwas rinnt aus ihr heraus. Sie tastet mit den Fingern danach und findet Blut, vermischt mit etwas anderem, einer Substanz, die sie nicht kennt. Robin blickt zu ihr auf, als er sich hastig das Hemd in
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