Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
bleibt. Sie kann die Gesichter der Männer nicht sehen, nur Schatten und Silhouetten. Ihr Geruch hängt dicht in der Luft – Schweiß und der Gestank hart arbeitender Körper am Ende eines langen, heißen Tages. Bier, Rauch, derbe Lei nenkleidung.
»Hast du dich verlaufen, kleines Mädchen?«, fragt ein anderer sie.
»Weder das eine noch das andere – ich habe mich nicht verlaufen und bin auch kein kleines Mädchen. Ich suche nach George Hobson«, sagt sie. Der Name springt ihr ganz leicht auf die Zunge.
»Himmel, der Glückspilz – ein heimliches Rendezvous, was?«, fragt der erste Mann anzüglich, was die anderen zum Lachen bringt.
»Das geht euch nichts an. Wisst ihr jetzt, wo ich ihn finden kann, oder nicht?«
»Ho, die hat aber Temperament! Hübsch scharfe Zunge haben Sie, Miss. Da ist der gute George vielleicht doch nicht zu beneiden!«
»Er wird sicher im Ploughman sein – im Hinterzimmer wahrscheinlich«, sagt einer der jüngeren Männer, der zum ersten Mal den Mund aufmacht. »Wissen Sie, wo das ist? Gehen Sie noch ein Stück weiter und biegen Sie bei der nächsten Brücke nach rechts ab, zur Straße nach London. Ist nicht weit.«
»Danke sehr.« Cat geht weiter, begleitet von einem Konzert gutmütiger Pfiffe und Kommentare.
Erst am Eingang des Ploughman zögert sie, denn die Tür ist niedrig, der Raum drinnen düster und voller Menschen, obwohl die Sperrstunde schon vorüber ist. Einen Augen blick lang spürt sie diese eisigen Klauen, die sie packen, wenn sie eingeschlossen ist oder das Gefühl hat, irgendwo festzustecken. Doch sie überwindet sich und schlüpft durch die Menge, wie es einem größeren Menschen, als sie es ist, gar nicht möglich wäre. In dem Pub sind nur sehr wenige Frauen. Sie tragen enge Blusen, die obersten Knöpfe geöffnet, und haben Biergläser in den Händen, Rouge auf den Wangen und rote Münder mit von Küssen verschmiertem Lippenstift. Im Hinterzimmer , hat der junge Mann gesagt. Cat sieht eine grob gezimmerte Holztür, geschlossen und mit einem Riegel versehen, am anderen Ende des Raumes. Sie geht darauf zu. Als ihre Finger den Riegel berühren, zuckt sie zusammen. Auf der anderen Seite der Tür erhebt sich lautes Gebrüll, hundert tiefe Männerstimmen schreien wie aus einer Kehle. Cat zögert beunruhigt. Es hört sich an, als lauere ein großer, aufgepeitschter Mob hinter dieser Tür, und solche Situationen kennt sie gut genug, um sie zu fürchten. Eine Hand packt sie am Unterarm und zieht energisch ihre Finger von dem Riegel.
»He, wo wollen Sie denn hin, junge Dame?«, fragt ein schnurrbärtiger alter Mann. Seine Haut an ihrem Handgelenk fühlt sich an wie ledrige Borke, und sie entwindet sich ihm hastig.
»Lassen Sie mich los!«, faucht sie mit plötzlich rasendem Herzen.
»Schon gut, schon gut, keiner will Ihnen was! Ich hab Ihnen doch nur eine Frage gestellt, weiter nichts.« Er lallt ein wenig, doch sein Blick ist klar, und Cat erkennt, dass er sie leicht aufhalten könnte, wenn er es darauf anlegen würde.
»Ich möchte zu George. George Hobson«, sagt sie und reckt trotzig das Kinn. »Er ist doch da drin, nicht?«
»Wer sind Sie? Seine Liebste? Oder die Tochter? Wüsste nicht, dass er eine hat«, fragt der Mann neugierig.
»Wer ich für ihn bin, geht nur mich etwas an. Lassen Sie mich jetzt durch oder nicht?« Der Mann mustert sie einen Moment lang und kaut dabei nachdenklich auf dem kläglichen Rest seiner Zigarette.
»Sie wissen, was da drin los ist, oder?« Er beäugt sie argwöhnisch und weist mit dem Daumen auf die Tür. Dahinter erhebt sich neuerliches Grölen. Cats Herz schlägt schneller. Sie presst die Lippen zusammen und nickt knapp, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hat, was sie in diesem abge riegelten Raum erwartet. »Na dann, gehen Sie rein. Aber machen Sie ja keine Szene, sonst werfe ich Sie raus, verstanden?« Er beugt sich vor, hebt den Riegel an und schiebt die Tür gerade so weit auf, dass Cat sich durch den Spalt zwängen kann. Sie beißt sich auf die Unterlippe, ballt die Hände zu Fäusten und schlüpft hindurch.
Der Raum ist mit bläulichem Rauch angefüllt, heiß und stickig, und die Decke sogar noch niedriger und ebenso wie die Wände ganz aus Holz. Reihen von Männern stehen mit dem Rücken zu Cat und versperren ihr die Sicht. Sie drängeln und schreien, stampfen mit den Füßen, verziehen die Gesichter, recken geballte Fäuste, wedeln mit Armen und Brieftaschen. Cat geht am Rand der Menge entlang, bis sie eine Lücke
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