Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
ordentlichen kleinen Vorgarten. Kleine Stiefmütterchen nickten mit violetten und goldenen Blüten in einer Reihe von Blumentöpfen unter dem Küchenfenster. Eine Tafel aus schwarzem Schiefer neben der Tür verkündete, dass dies »The Rectory« – die Pfarrei – sei, und Leah wurde plötzlich unsicher, klingelte aber trotzdem an der Tür.
»Ja?« Eine dünne Frau mittleren Alters begrüßte sie lächelnd, aber mit gehetztem Blick, als rechne sie jeden Mo ment mit einem Angriff. Ein Spitzendeckchen von einer Frau, dachte Leah sofort ein wenig boshaft. Zart und zu nichts Praktischem nütze, so sah sie aus.
»Entschuldigung, ich glaube, ich bin hier falsch«, sagte Leah. Das Spitzendeckchen blinzelte ein paarmal rasch und zog dabei die blaue Strickjacke unter den Armen enger zusammen. »Ich suche nach dem Pfarrhaus – oder vielmehr dem Haus, das ursprünglich einmal das Pfarrhaus war, vor etwa hundert Jahren?«, erklärte sie.
»Ach, das Alte Pfarrhaus? Ja, da sind Sie hier ganz falsch, fürchte ich. Es liegt auf der anderen Seite des Dorfes, nur fünf Minuten zu Fuß. Wenn Sie der Landstraße nach Thatcham folgen – die ist ausgeschildert –, dann sehen Sie es auf der rechten Straßenseite ein Stückchen außerhalb«, sagte die Frau und machte Anstalten, die Tür wieder zu schließen. Leah streckte hastig die Hand aus und hielt sie auf.
»Verzeihung – Sie wissen nicht zufällig, wann es vom Pfarrhaus zum Alten Pfarrhaus wurde, oder? Wann die Kirche es verkauft hat, meine ich«, setzte sie hinzu. Die Frau starrte auf Leahs Hand an der Haustür, als hielte die eine Waffe.
»Tut mir leid, das weiß ich wirklich nicht. Wahrscheinlich irgendwann in den Dreißigerjahren. Damals ging eine Menge Kirchenbesitz in private Hände.«
»Aha, danke. Vielen Dank.« Leah ließ die Tür los und kehrte zur Straße zurück.
Das Alte Pfarrhaus war ein sehr schönes symmetrisches Gebäude im Queen-Anne-Stil, wie Leah vermutete, aber leider schon halb verfallen. Die roten Backsteine ragten stolz hervor, denn der Mörtel dazwischen war längst verwittert und ausgewaschen. Der Vorgarten war überwuchert, doch die kläglichen Überreste der Geranien vom vergangenen Jahr in ihren steinernen Pflanztrögen neben der Tür ließen darauf schließen, dass noch jemand hier wohnte und sich zumindest ein wenig Mühe gab. Leah konnte aber kein Auto in der Zufahrt entdecken, und drinnen brannte auch nirgendwo Licht, obwohl der trübe Tag immer düsterer wurde. Sie blieb ein paar Minuten lang stehen, beobachtete das Gebäude unauffällig und hoffte auf irgendeine Bewegung im Inneren. Dies also war das Haus, in dem die Briefe verfasst worden waren, über denen sie in letzter Zeit so begierig gebrütet hatte. Bei dem Gedanken schlug ihr Herz ein wenig schneller. Es fühlte sich an, als spähte sie durch das winzige Schlüsselloch in einer Tür zur Vergangenheit. Von vager Nervosität erfüllt, ging sie den Weg durch den Vorgarten entlang und betätigte kräftig den Türklopfer aus angelaufenem Messing. Sie hörte den Laut durchs Haus hallen.
Ein Mann, der ungefähr in ihrem Alter sein mochte, öffnete die Tür nur einen Spaltbreit und lugte stirnrunzelnd zu ihr heraus.
»Was ist?«, fragte er barsch. Leah erhaschte einen Eindruck von schmalen grauen Augen, kurzem dunklem Haar, mehrere Tage alten Bartstoppeln und einem etwas irritierten Gesichtsausdruck.
»Oh, hallo. Entschuldigen Sie bitte die Störung …«, begann sie, um sogleich unterbrochen zu werden.
»Was wollen Sie?«, fuhr er sie an. Hinter ihm war nur Dunkelheit zu erkennen. Leah bemühte sich, nicht allzu auffällig an ihm vorbei ins Innere zu spähen. Auf einmal sehnte sie sich danach, das Haus zu erkunden.
»Ich heiße Leah Hickson, und ich recherchiere für einen …«
»Recherchieren? Was meinen Sie damit?«, fiel der Mann ihr erneut ins Wort.
Leah spürte, wie ihr der Ärger heiß in die Wangen stieg. »Wie ich Ihnen gerade erklären wollte, suche ich nach jemandem, der …«
»Sind Sie also Journalistin?«, fragte der Mann barsch.
»Äh, ja, bin ich«, antwortete Leah verblüfft.
»Herrgott noch mal!«, rief der Mann aus und rieb sich mit der freien Hand heftig die Augen. Leah war zu verblüfft, um etwas zu sagen. »Wie haben Sie mich gefunden? Wer hat Ihnen diese Adresse gegeben? Versteht ihr Leute denn nicht die einfachste Ansage – wie ›verpisst euch‹? Meint ihr, ich hätte mich hier raus verzogen, wenn ich mit einem von euch reden wollte?«
»Ich … ich
Weitere Kostenlose Bücher