Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Es hängt von dir ab, welches von beiden ich benutzen werde. Am liebsten wäre mir die zivilisierte Variante: Du gibst mir die Tonscherben, ich fessle euch drei, und sobald ich das Geschenk abgeliefert habe, rufe ich die Polizei und sage denen, wo sie euch finden.«
»Wir sind zu dritt, Sie sind allein«, sagte Griffin mit schneidender Stimme.
»Sagen wir, ihr seid zu zweit. Und ich habe eine Geisel. Und eine Waffe.«
Jac spürte, wie ihr erneut alles vor Augen verschwamm. EinGeruch nach Altertum, nach Statuen, die bei der geringsten Berührung zu Staub zerfallen würden. Dann die Gerüche des Nildeltas. Palmenhaine. Machttrunkene Frauen. Lüsterne Männer. Eine überwältigende, Übelkeit erregende Kakophonie. Keine Frage – der geheimnisvolle Duft raubte ihr wieder den Verstand.
Sie atmete durch den Mund und sah zu ihrem Bruder hinüber. Er presste einen Ärmel gegen seine blutende Wunde und sah Ani so verdattert an, dass er Jac leidtat. Griffin hockte schwer atmend neben ihm und versuchte, ihr mit den Augen irgendetwas zu verstehen zu geben.
Jac wandte sich an ihren Bruder. »Gib ihr den Tiegel, Robbie. Er ist wertlos«, sagte sie.
»Ist er nicht. Und du weißt es. Ich habe dein Gesicht gesehen, ich weiß …«
»Robbie!«, rief Griffin. Jac wusste, dass er Robbie nur unterbrach, damit er keine wichtigen Informationen preisgab.
»Die Bedenkzeit ist um«, sagte Ani. »Vielleicht braucht ihr noch eine kleine Ermunterung.«
Plötzlich spürte Jac einen Pistolenlauf an ihrer Schläfe.
»Wenn hier unten ein Schuss abgefeuert wird, kann das alles zum Einsturz bringen«, sagte Griffin zu Ani. »Wir könnten verschüttet werden. Sie auch.«
»Ich bin schon ganz andere Risiken eingegangen.«
»Und wer führt Sie wieder zurück, wenn Sie uns etwas antun?«
Die Nonne lachte leise und kehlig. Jac spürte ihren Atem im Nacken.
»Ich habe den Weg mit UV-Farbe markiert. Robbie, gib mir die Scherben.«
Griffin wandte sich an Robbie. »Tu, was sie sagt. Leg die Scherben hin, da vorn auf den Boden. Dann komm rückwärts wieder zurück.«
Robbie schüttelte den Kopf. »Ich kenne sie. Sie würde Jac nie etwas tun. Dazu wäre sie gar nicht imstande.«
Jac fühlte, wie die Frau schauderte.
»Vielleicht ist sie nicht mehr die, für die du sie hältst«, sagte Griffin und zeigte ein Stück vor sich auf den Boden. »Leg die Scherben da hin.«
Die Nonne hielt Jac noch fester umklammert. Jac starrte ihren Bruder an. Robbie trat ein paar Schritte vor und legte den kleinen Beutel behutsam vor sich auf den unebenen Untergrund.
»Und jetzt geh zurück, mach ihr Platz«, sagte Griffin.
Robbie tat einen Schritt rückwärts. Ein Lichtstrahl aus Griffins Stirnlampe streifte sein Gesicht, und Jac sah, dass ihm Tränen die Wangen herunterliefen. Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihn umarmt, ihn getröstet, wie sie es als Kinder gegenseitig getan hatten. Sie sah Griffin an. Er schien ihr wieder etwas sagen zu wollen, doch was immer es auch war, sie konnte seinen Blick nicht deuten.
Ani begann sich langsam, Stück für Stück mit ihr auf den Beutel zuzubewegen.
Warum hatte Griffin so genau bezeichnet, wohin Robbie die Scherben legen sollte? Jac sah sich um. Vielleicht gab es einen Grund, warum er genau diese Stelle ausgewählt hatte? Was hatte er entdeckt, das ihr entgangen war?
Je mehr sie sich dem Beutel näherten, desto intensiver wurde der Duft der Scherben, der nach Jacs Verstand zu greifen schien. Trotz ihrer Situation fühlte sie sich von dem rätselhaften, uralten Geruch seltsam angezogen. Ein Strom der Trauer, unendliche Verheißung. Vertraute, würzige Aromen mischten sich verlockend mit unbekannten, unlesbaren Duftnoten. Doch Jac wollte bei Verstand bleiben und wehrte sich. Weigerte sich, dem Duft nachzugeben. Und dieses eine Mal gelang es ihr tatsächlich.
Jac schätzte, dass sie noch einen Meter von dem Beutel entfernt waren. Um ihn aufzuheben, würde Ani sich hinunterbeugen müssen. Oder sie würde Jac auffordern, ihn zu nehmen. So oder so würde die Nonne ihren Griff einen Moment lang lockern. Was sollte Jac dann tun? Ihr die Waffe abzunehmen versuchen? Aber wenn sich ein Schuss löste, konnte die Decke einstürzen, hatte Griffin gesagt.
Jacs Bruder verharrte noch immer dicht hinter dem Beutel und brachte es nicht über sich, zurückzutreten.
»Robbie«, sagte Griffin sanft, wie um ihn mit seinen Worten von dem Beutel fortzuziehen. »Lass es gut sein. Lass es los.«
Doch Robbie rührte sich
Weitere Kostenlose Bücher