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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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Arme nahm und mir sagte, dass alles gut wird. Mein Gott, ich vermisse meinen Dad. Meine Mum und meinen Dad. Das waren gute Menschen. Wenn sie da waren, habe ich mich nie allein gefühlt. Ich vermute, das war der Grund, warum ich so einfach auf Kierans Welt hereingefallen bin, ohne Fragen zu stellen: Ich hatte zum ersten Mal seit ihrem Tod das Gefühl, irgendwo dazuzugehören. Mir war nur nicht klar, dass dieses »Dazugehören« seiner Meinung nach mit einem »Zu« verbunden war. »Wenn ich irgendwas tun kann …«, sagt Mark. »Es tut mir leid.«
    »Ich habe bloß …«, beginnt sie, gerät ins Stottern, weil sie nicht weiß, was sie eigentlich sagen soll.
    »Soll ich Ihnen eine Tasse Tee machen?«
    »Ja, das …«
    »Dann kommen Sie.«
    Er führt sie in die Küche und drückt sie auf den Stuhl am Tisch. Wirft einen Blick auf die zerstörte SIM-Karte, sagt aber nichts dazu. Während das Wasser heiß wird, nimmt er ihr gegenüber Platz und schaut ihr in die Augen.
    »Sie müssen es mir nicht sagen«, erklärt er. »Jeder von uns lässt sich durch irgendwas erschrecken.«
    »Nein, es ist bloß – es liegt nicht daran, dass ich Ihnen nicht vertraue, ich bin bloß …«
    »Manchmal ist es schwierig. Das weiß ich. Wir sind alle mal niedergeschlagen. Sie, ich, Tina. Man ist verdammt einsam. Aber es kann helfen, wenn man darüber spricht. Und ich werde nicht … Sie wissen schon …«
    »Ach, Mark«, sagt sie.
    »Komm schon«, antwortet er, »sonst tue ich fünf Stück Zucker in deinen Tee und sag dir einfach, dass du wieder Mut fassen sollst.«
    »Du darfst es niemandem erzählen«, sagt sie. »Ich möchte nicht, dass die Leute es wissen. Es geht nur mich etwas an. Ich habe – weißt du, ich habe den Eindruck, nicht sicher zu sein …«
    Er sagt nichts. Macht wieder keine leeren Versprechungen. Wartet einfach ab.
    »Ich habe einen Anruf erhalten«, fährt sie fort. »Ich kriege ständig welche. Er lässt mich einfach nicht in Ruhe.«
    »Ach«, sagt er.
    »Ich musste untertauchen«, erzählt sie. »Deshalb bin ich hier. Wo mich keiner kennt. Uns. Ich kann die … aber er …«
    »Ach, Mensch«, sagt er. »Und ich habe dich für ein wenig … geheimnistuerisch gehalten.«
    »Ich habe eine gerichtliche Verfügung gegen ihn erwirkt«, erzählt sie, »aber er hat sich nicht daran gehalten. Er ist einfach – immer wiedergekommen.«
    »Ist das Yasmins Vater?«
    Sie schnieft, reibt sich mit dem Handgelenk über die Stirn und nickt.
    »Und er hat nicht – er hat immer …«
    »Ach, Mensch«, wiederholt er. Er will die Hand ausstrecken und ihre ergreifen, aber er weiß, dass das unangebracht wäre.
    »Es – du musst es mir nicht erzählen«, wiederholt er.
    »Ich war bloß – ich hatte so lange Zeit so viel Angst, und ich weiß, dass er uns hier nicht finden kann, aber ich höre seine Stimme und komme mir vor … bitte, erzähl es niemandem. Ich weiß, wie die Menschen sind.«
    »Sie sind besser, als du glaubst«, antwortet er. »Wenn irgendwelche Urteile gefällt werden, dann betreffen sie ihn, nicht dich. Wir sind hier nicht in London. Wenn die Leute es wüssten, dann würden sie dich bestimmt in Schutz nehmen.«
    Wieder schüttelt sie den Kopf.
    »War es sehr schlimm?«, fragt er. Kommt sich sogleich schmutzig und hässlich vor, weil er das gefragt hat, als hege er irgendwelche bösen Absichten. Sie wirft ihm einen Blick zu, der seine eigene Einschätzung bestätigt.
    »Nein«, antwortet sie, »es war ein Kinderspiel. Ich mache das nur aus Bosheit.«
    Mark läuft rot an. Schaut betreten zur Seite.
    »Nein, versteh doch – es tut mir leid«, sagt sie. »Das war eine Schutzmaßnahme. Ich bin es dermaßen gewöhnt – dermaßen gewöhnt, weißt du, zwischen Leuten zu unterscheiden, die mich verachtet haben und Leuten, die all die scheußlichen Details hören wollten. Ich musste es denen in ihrer alten Schule erzählen, damit er nicht kommen und sie abholen konnte, und das war, als würde ich einer Klatschzeitung ein Interview geben. Die wollten jedes Detail hören, und hinter ihrem Mitleid konnte man die Schadenfreude erkennen, die Erleichterung, ›zum Glück betrifft es nicht mich‹. Und mein Mitbewohner von einem Stockwerk tiefer, der hat einfach immer zur Seite geschaut, wenn wir ihm im Treppenhaus begegnet sind, als hätten wir Lepra oder so etwas. Es spielt keine Rolle, was die Presse verbreitet, wie sehr sie versuchen, die Leute aufzuklären; die Leute haben noch immer diese Einstellung, weißt du. Dass es nicht nur

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