Das Haus der verlorenen Kinder
eine Frage des Schicksals ist, dass sich manche Ehemänner als Monster und andere als Waschlappen entpuppen. Sie haben alle die Artikel gelesen, dass Missbrauch über Generationen weitergeht, und interpretieren das so, dass manche Leute diesen geradezu anziehen. Dass du deshalb bei ihm bleibst, weil es dir doch irgendwie gefällt.«
Sie erinnert sich an seine Fäuste. Das schmatzende Geräusch, als er ihr aufs Auge schlug, der kurze Schmerz, der sie durchfuhr, als ihr Kopf nach hinten kippte. Das fahle, schockierte Gesicht von Yasmin, als sie auf ihr gebrochenes Handgelenk starrte. Die Blicke im Krankenhaus: Sie behauptet, dass es ihr Ehemann war, aber sie hätte es ja auch selbst gemacht haben können. Es sind nicht immer nur die Männer, wissen Sie. Frauen sind auch keine Engel …
Ich krieg dich, Bridget. Du kannst dich nicht ewig verstecken.
»Er hat mich gefesselt«, sagt sie. »Er hat mich festgebunden und mich dort zurückgelassen. Er hatte Handschellen, und mit denen hat er mich ans Bett gefesselt, und wenn ich versucht habe, ihn davon abzuhalten, dann ist es nur noch schlimmer geworden. Und er musste zur Arbeit gehen, und Yasmin war in ihrem Kinderbettchen, und sie hat geweint, und ich konnte nichts tun. Ich konnte einfach nur daliegen und sie den ganzen Tag weinen hören und warten, dass er nach Hause kommt, und abwarten, was er vorhatte …«
Es ist kein befreiendes Herzausschütten. Sie fühlt sich nicht besser, während sie es ihm erzählt. Wenn man Probleme offenbart, werden häufig alte Wunden wieder aufgerissen.
Sie schaut zu ihm auf, und sein Gesichtsausdruck ist undefinierbar. Dann schluckt er und senkt den Blick.
»Tut mir leid«, sagt er. »Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Die hat ja keiner«, antwortet sie. »Die Typen, mit denen er zusammenarbeitet, die halten ihn alle für einen netten Kerl. Einen Spaßvogel. Ich wusste, was sie von mir hielten, als sie mich gesehen haben. Die langweilige Frau, die ihren Mann zermürbt. Die dachten, das sei ein Spaß. Mit ihm in Nachtklubs zu gehen, ihm beim Aufreißen zuzuschauen, während ich zu Hause gewartet habe. Und dieser Typ – dieser Typ von der Etage unter mir. Der hat mich für den letzten Abschaum gehalten. Ich erinnere mich, wie er sich einmal, an einem Sonntag, auf der Treppe umgedreht und mich bloß angezischt hat. So etwas wie: ›Können Sie nicht dafür sorgen, dass dieses Baby nicht mehr schreit? Nehmen Sie denn nie Rücksicht auf Ihre Nachbarn?‹ Und ich konnte nicht – Menschenskind, ich hatte ein Veilchen, und er tat so, als hätte er es gar nicht gesehen … und ich möchte nicht mehr dorthin zurück. Ich kann nicht.«
»Bridget, du solltest zumindest in der Schule Bescheid geben. Die sollten es wissen. Nur für den Fall … Du weißt schon …«
Sie blickt wieder auf. Schaut ihm in die Augen. »Lass das, Mark«, sagt sie. »Das ist meine Entscheidung. Tut mir leid. Ich hätte dich da nicht hineinziehen sollen.«
»Ja, aber das hast du. Ich bin …Bridget. Versteh doch, ich werde dir nicht sagen, was du zu tun hast, aber wenn du glaubst, es besteht auch nur die geringste Gefahr, dass er dich ausfindig macht … nimm zumindest meine Nummer. Falls du Angst hast. Ruf mich an, oder Tina. Einen von uns. Uns macht es nichts aus. Wir kommen. Wahrscheinlich sind wir schneller da als die Polizei.
Ich bewundere dich«, fährt er fort, und sie ist erstaunt. »Jetzt weiß ich, dass ich dich wirklich bewundere. Du bist eine mutige Frau, und ich habe den Eindruck, auch wenn ich weiß, dass das ein leeres Versprechen ist, dass es dir von jetzt an gut gehen wird. Aber Bridget, es gibt einen feinen Unterschied zwischen mutig und dumm.«
»Ja«, antwortet sie. »Ja, ich weiß.«
»Versprich es mir«, fordert er.
»Ja. Können wir nicht das Thema wechseln?«
»Okay«, antwortet Mark. »Ist in Ordnung. Solange du das weißt.«
»Ich weiß«, sagt Bridget. Und zu ihrem Erstaunen stellt sie fest, dass sie selbst daran glaubt. Sie steht auf und holt zwei Teebecher. Mark Carlyon sitzt am Tisch und schaut zu, wie sie im Raum hin und her geht. Jetzt verstehe ich, denkt er. Warum sie Männern so ungern in die Augen schaut. Wie es kommt, dass sie so wenige Informationen preisgibt. Sie hat Mumm. Ich wünschte, es gäbe etwas, was ich tun könnte, um ihr zu helfen.
»Jetzt berichte mal«, sagt er, während sie zum Kühlschrank geht und die Milch herausholt, »über die Elektrik. Zumindest die kann ich für dich ja wieder in Ordnung
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