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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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warten, bis es Nacht ist und keiner hinschaut, dann scheißen sie, und du isst das auf.«
    »Tja, da täuscht sich Lily«, antwortet Bridget, »und sie sollte auf ihre Wortwahl achten. Macht es ihrer Mutter denn nichts aus, wenn sie so daherredet?«
    »Sie hat keine Mutter«, stellt Yasmin fest, als sei das das Selbstverständlichste auf der Welt.
    »Ach, tut mir leid.«
    Yasmin fängt an, die Erbsen einzeln aus dem Reis herauszupicken. Zumindest benutzt sie Messer und Gabel dafür, denkt Bridget.
    »Iss aber noch ein bisschen Hühnchen«, befiehlt sie.
    Yasmin wackelt mit ihren Zöpfen, spießt ein Hühnchennugget auf und kaut es.
    »Mund zu«, sagt Bridget.
    Yasmin spült das Essen mit einem Schluck Saft hinunter und macht sich wieder daran, die Erbsen aus dem Reis zu picken. »Blumenkohl ist Kuhhirn«, verkündet sie.
    »Auch das behauptet Lily, oder?«
    Heftiges Nicken.
    »Komm schon, du musst ein paar Erbsen essen.«
    Sie verzieht das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse. »Puuuh.«
    Bridget beschließt, ein wenig abzuwarten, bevor sie sie weiter bedrängt. »Also, welche war Lily noch mal? Ich dachte, das wäre eines der Aykroyd Kinder.«
    »Nein. Du kennst sie doch. Lily.«
    Sie atmet ein paar Mal tief durch. Alle Kinder sind der Meinung, ihre Sorgen seien die allerwichtigsten, und halten jeden, der nicht sofort weiß, wovon sie reden, für dumm. Kein Grund, verärgert zu reagieren.
    Ich brauche die Gesellschaft von Erwachsenen. Ich liebe sie, aber ich muss dringend ein paar Freunde finden.
    »Nein«, sagt sie, »das kann ich nicht behaupten.«
    »Na ja, sie weiß jedenfalls, wer du bist.«
    »Sind wir uns schon begegnet?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »An dem Tag, als wir Sardinen gespielt haben.«
    Bridget schaut sie mit verständnislosem Blick an.
    »Verstecken«, erklärt Yasmin.
    »Iss wenigstens ein bisschen was vom Reis.«
    Sie nimmt eine Gabel voll und verschüttet die Hälfte, während sie sie zum Mund führt.
    »Wie sieht sie aus?«
    »Größer als ich. Braune Haare. Ein bisschen zerzaust. Dürr.«
    »Ist sie ein bisschen älter?«
    Yasmin nickt. »Lily ist neun«, sagt sie. Dann korrigiert sie sich: »Mehr oder weniger.«
    Mehr oder weniger? Was soll das denn heißen?
    Sie kann sich vage an das Mädchen erinnern. Dünn und bleich, mit Haaren, die aussahen, als hätte man sie ihr in der Küche mit einem stumpfen Messer geschnitten. Ich war es nicht. Ich war es nicht, verflucht. Was hat sie nicht getan? Ich war es nicht, verflucht …
    »Und sie flucht immer so?«
    »Ach, Mum.«
    »Ich möchte nicht, dass du so fluchst.«
    »Huuu-huu«, sagt Yasmin.
    »Was möchtest du zum Nachtisch? Joghurt oder eine Banane?«
    »Banane.«
    »Vielleicht möchte sie mal kommen und mit dir spielen?«, fragt Bridget.
    Yasmin fährt herum und starrt sie an. Wie erbärmlich von mir, mein Kind als Mittel einzusetzen, um selbst Freunde zu finden. Das Kind muss ja irgendwie mit einem Erwachsenen in Verbindung stehen.
    »Vielleicht, wenn Chloe morgen kommt?«
    Plötzlich klingt Yasmin herablassend: »Ich glaube nicht, dass das nötig ist, Mum«, sagt sie.
    Sie ist ein bisschen beleidigt. »Ach. Na schön. Sorry.«
    »Ist schon okay«, sagt Yasmin. »Wir sehen uns ja häufig. Es ist nur – sie mag keine Erwachsenen.«
    »Das kann vorkommen.« Es gibt schließlich auch viele Erwachsene, die keine Kinder mögen. »Was mag sie an uns denn nicht?«
    »Alles.«
    »Alles?«
    »Lily sagt, dass man Erwachsenen nicht über den Weg trauen kann.«
    »Das tut mir leid«, antwortet Bridget. »Aber das glaubst du doch nicht auch, oder?«
    Yasmin schweigt.
    Bridget verspürt einen Anflug von Schuldgefühlen. Was immer man auch tut, man wird nicht in der Lage sein, zu verhindern, dass es Auswirkungen haben wird. Ich habe es nicht selbst getan, aber ich habe ihn nicht davon abgehalten, als er ihr den Arm brach.
    »Tut mir leid, Baby«, sagt sie. »Wirklich. Aber du weißt doch, dass es auch Erwachsene gibt, denen du vertrauen kannst, oder?«
    »Lily sagt, dass man das nicht kann. Lily sagt, dass sie am Ende alle gegen dich sind.«
    »Ach, Schätzchen. Sie muss ja ein sehr schlimmes Leben haben, wenn sie so denkt. Unternimmt die Schule denn nichts dagegen?«
    »Nein«, antwortet Yasmin. »Sie sagt, die sind die Schlimmsten von allen.«
    »Ach, mein Schatz«, erwidert Bridget. »Na ja, du kannst ihr jedenfalls ausrichten, dass sie hier jederzeit willkommen ist. Machst du das?«
    Yasmin verzieht das Gesicht. Schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht,

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