Das Haus der verlorenen Kinder
alle verlangen zu dieser Jahreszeit nach seinen Diensten, und alle tun zumindest seinem Kontostand gut, auch wenn die Hälfte es sich doch anders überlegen wird, bevor er mehr als ein paar Telefonate geführt hat.
Dieser Mann hier allerdings nicht. Normalerweise erkennt er die Hartnäckigen, und dieser ist einer davon. Er sieht aus wie ein Terrier, und jeder weiß, dass es bei einem Terrier, sobald er sich einmal verbissen hat, schwierig wird, ihn zum Loslassen zu bewegen.
Steve räuspert sich. »Und, was kann ich für Sie tun?«, fragt er.
Kieran Fletcher rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Es fällt ihm, wie Steve bemerkt, schwer, still zu sitzen. Er hat, seit er hier hereingekommen ist, nicht mehr als dreißig Sekunden die gleiche Haltung eingenommen. Schlägt die Beine übereinander und nimmt sie wieder auseinander, hält sich an der Stuhllehne fest und benützt sie, um sich vom Sitz zu erheben, als täte ihm der Rücken weh, rutscht von einer Seite zur anderen, während er seinen Blick umherschweifen lässt und seine Umgebung wahrnimmt.
Unstet, denkt Steve. Schiebt den Gedanken beiseite. Er ist gut gekleidet: Hat offenbar das nötige Kleingeld. Einer dieser Händler in der City, wenn ich mich nicht täusche. Und schließlich stinkt Geld nicht, außerdem wirken viele Leute unruhig, wenn sie zum ersten Mal einen Privatdetektiv konsultieren.
»Ich habe ein Problem«, antwortet Kieran Fletcher.
Was Sie nicht sagen.
»So geht es den meisten Leuten, die zu mir kommen«, stellt Steve gelassen fest. »Ich bin es gewöhnt, Leute mit Problemen vor mir zu haben.«
Kieran Fletcher zieht ein Feuerzeug aus seiner Tasche, fängt an, daran herumzuspielen, dreht es immer wieder zwischen Daumen und Zeigefinger. Steve holt den Aschenbecher aus der obersten Schreibtischschublade, wo er ihn aufbewahrt – er lässt ihn nicht gern sichtbar stehen, das macht keinen guten Eindruck –, und schiebt ihn über den Tisch. »Rauchen Sie nur, wenn Sie möchten«, sagt er.
»Danke«, antwortet Fletcher. Fischt eine Packung Dunhill aus seiner anderen Tasche, zieht eine Zigarette heraus, sitzt da und klopft mit dem Ende auf das Zellophan der Schachtel.
»Möchten Sie mir vielleicht von Ihrem Problem erzählen?«, fragt Steve.
Einen Augenblick sieht Fletcher irritiert aus. Arrogant, denkt Steve. Hat es nicht gern, wenn man ihm sagt, was er tun soll. Dann setzt er sich auf seinem Stuhl zurück, atmet tief durch die Nase aus und sagt: »Es geht um meine Frau.«
Mensch, was für eine Überraschung, denkt Steve. Er nickt aufmunternd. »Und?«
»Sie ist verschwunden.«
»Und?«, wiederholt Steve. Er möchte nicht falsch reagieren.
Kieran sagt nichts weiter, deshalb fragt er schließlich: »Seit wann?«
»Seit etwa einem Monat«, antwortet Kieran.
»Verstehe. Und haben Sie das der Polizei gemeldet?«
Wieder dieser unwirsche Blick. Er schüttelt heftig den Kopf. »Sie ist nicht so verschwunden.«
»Verstehe«, wiederholt Steve.
»Ich bin bei ihr aufgekreuzt, um meine Tochter zu besuchen«, sagt er, »und sie war weg. Das habe ich von ihrer neugierigen Nachbarin erfahren müssen. Hat ihr ein diebisches Vergnügen bereitet, mir das zu erzählen.«
»Aha«, sagt Steve.
»Sie wäre mir ja egal, die dumme Kuh«, sagt Kieran. »Die bin ich schon vor Jahren losgeworden.«
»Ach. Ex-Frau, also?« Das würde erklären, warum er eher verärgert als traurig ist. Männer, die es nicht haben kommen sehen, sind, wenn sie ihre Geschichte erzählen, an diesem Punkt normalerweise ziemlich fertig.
»Ja. Hat nicht funktioniert – sagen wir einfach, wir haben nicht zusammengepasst, was?«
»Okay.«
»Es geht nicht um sie. Wäre mir egal, wenn ich sie nie mehr wiedersehen würde. Es geht um meine Tochter.«
»Ach«, sagt Steve. Jetzt begreift er.
Schließlich schiebt sich Fletcher die Zigarette zwischen die Lippen und steckt sie an. Inhaliert und bläst einen langen Rauchstreifen in Richtung Zimmerdecke. »Sie hat meine Tochter mitgenommen.«
Steve kann nicht anders, als Mitleid mit ihm zu haben. Er findet ihn zwar nicht sympathisch, aber er erinnert sich, wie wenig sympathisch er selbst damals war, als Jo sich aus dem Staub machte. Frauen. Sie mögen ja als Friedensstifterinnen gelten und als diejenigen, die das Zuhause gemütlich machen, aber es gibt unter ihnen jede Menge rachsüchtiger Keifzangen. Es vergeht keine Woche, ohne dass er vom Vater irgendeines Kindes aufgesucht wird. Von verlassenen Vätern, wütenden Vätern, trauernden
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