Das Haus der verlorenen Kinder
tut sich. Scheiße. Diese verdammten Leitungen. Gleich morgen werde ich Gordhavo anrufen und darauf bestehen, dass das repariert wird. Ich kann die meiste Zeit nicht einmal Staubsaugen, weil dadurch die Sicherung herausspringt. Wie gut, dass es hier keine Alarmanlage gibt, sonst hätte ich die Polizei zwei Mal pro Woche da, die mir mit dem Finger drohen würde, weil sie wieder zu einem Fehlalarm ausrücken musste.
Inzwischen ist sie fast immun gegen die Schrecken eines stockdunklen Hauses. Lässt – nur für alle Fälle – den Schein der Taschenlampe durch den Raum schweifen, während sie das Speisezimmer durchquert, und stellt fest, dass die Figurinen auf der Anrichte wieder umgedreht wurden und sie jetzt aus dem Spiegel anstarren. Ich muss mit Yasmin reden und ihr das unbedingt verbieten. Sie muss sich einen Stuhl herangezogen haben, um da hinaufreichen zu können, denn sonst ist es ihr zu hoch. Eines Tages werde ich noch herunterkommen und alle diese Figuren in Scherben auf den Stein-platten und dazwischen meine Tochter mit aufgeschlagenem Kopf vorfinden.
Sie geht zur Treppe. »Hallo?«
»Oh, mein Gott«, brüllt Carol herunter. »Da bist du ja endlich! Ich sitze seit zwei Stunden ganz allein hier fest und stehe Todesängste aus!«
Im Schein der Taschenlampe sieht sie älter aus, als sie ist. Ihre Gesichtsfalten, die bei Tageslicht nicht vorhanden zu sein scheinen, bilden ein Relief wie die Risse in einem Lavafeld. Ihre Augen sind die eines gejagten Kaninchens. Sie hat sich in die Sofadecke gewickelt.
»Tut mir leid! Tut mir leid! Warum hast du mich nicht angerufen? Ich wäre umgehend gekommen.«
»Mein verdammtes Handy hat hier keinen Empfang. Dieser beschissene Anbieter. Ich hätte genauso gut in einem Verlies sitzen können. Ich habe eine solche Angst ausgestanden! Was ist passiert? Was ist mit dem Licht passiert?«
»Es ist in Ordnung. Beruhige dich, Carol.«
Sie hört sie oben an der Treppe, während sie die Reihe von Sicherungen in dem Kasten überprüft. Acht der dreiundzwanzig sind herausgesprungen, darunter auch die Hauptsicherung. So viele hat sie noch nie zuvor auf einmal herausspringen sehen: Normalerweise sind es eine oder zwei. »Was hast du gerade gemacht, als der Strom ausfiel?«, ruft sie hinauf.
»Ich habe mir die Haare geföhnt. Ich habe den Föhn eingeschaltet und peng! Alles ist ausgegangen.«
»Ja, klar.«
Es wird also schlimmer. Normalerweise muss man den Föhn und den Elektroofen gleichzeitig eingeschaltet haben, um die Leitungen zu überlasten.
Sie drückt die Sicherungen hoch. Das Haus ist wunderbar lichtdurchflutet. »Wo ist Yasmin?«
»Ach, die hat das Ganze verschlafen. Die schläft ja wie ein Murmeltier. So was habe ich noch nie gesehen.«
»Na ja, wenn sie schon eingeschlafen war …«
Sie macht sich daran, die Treppe hinaufzugehen. Carols Haare sehen schlimm aus: glatt auf der einen Seite, wilde, krause Locken auf der anderen.
»Ich brauche einen Drink«, erklärt Carol.
»Ich auch.«
In der inzwischen wieder hell erleuchteten Küche, in der es stark nach Zigarettenrauch riecht, brennt überflüssigerweise eine Kerze auf dem Tisch neben der Flasche Wodka und einem Glas voller Eiswürfel. Sie ärgert sich ein wenig, dass Carol trotz der Tatsache, dass kein Strom da war, der die Kälte aufrechterhielt, den Gefrierschrank aufgemacht hat. Die Flüssigkeit in der Flasche ist in der Zeit, in der sie weg war, um gute fünf Zentimeter geschrumpft. Sie holt sich ein Glas und schenkt für beide ein. Dreht sich zu Carol um und sieht, dass sie unter ihrer Schminke so fahl ist, dass ihre Haut fast grün erscheint.
»Du meine Güte. Ich habe gar nicht gewusst, dass du so schwache Nerven hast.«
»Himmelherrgott!«, antwortet Carol. »Was für Nerven soll ich denn deiner Meinung nach haben? Das waren die schlimmsten zwei Stunden meines Lebens.«
»Das war doch nur ein Stromausfall, Carol.«
»Nein«, Carol schüttelt eine Zigarette aus der Packung und zündet sie an, »das war in Wahrheit mehr als das. Da war etwas …« Sie setzt sich abrupt hin, lässt sich auf den Stuhl plumpsen.
Bridget nimmt ihr gegenüber Platz. »Was?«
»Es war – mein Gott, es war unheimlich.«
»Was?«
»Na ja, ich war also gerade dabei, mir die Haare zu föhnen, als patsch, die Lichter ausgingen. Ich stehe da im Bad, mit nichts an außer einem Handtuch, und kann nichts sehen.
Deshalb taste ich mich zur Küche durch und finde mein Feuerzeug – zumindest wusste ich, wo das war –, und habe
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