Das Haus der verschwundenen Jahre
Rictus. »Na, dann laß dir mal von mir verraten, daß sie dort unten recht glücklich ist. So wie alle.«
»Nein, das sind sie eben nicht!« Harvey wurde wütend. »Der See stinkt, und das weißt du auch.« Er machte einen Schritt auf Rictus zu, und der wich zurück, als ob sein Leben in Gefahr sei. Vielleicht war es das ja auch. »Wie würde es denn dir gefallen«, rief Harvey und deutete dabei auf Rictus, »wenn du in der Kälte und im Dunkeln leben müßtest?«
»Du hast ja recht«, sagte Rictus und ergab sich mit erhobenen Händen. »Ganz wie du meinst.«
»Und ich befehle dir, sie auf der Stelle zu befreien !« antwortete Harvey. »Und wenn du’s nicht tust, dann werde ich es tun!«
Er schob Rictus beiseite und lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Er hatte keinen Schimmer, was er tun sollte, wenn er am Teich unten war. Kein Zweifel, Fische blieben Fische, auch wenn sie mal Kinder gewesen waren. Und bei dem Versuch, sie aus dem See zu holen, würden sie sicher an der Luft ersticken. Trotzdem war er wild entschlossen, sie vor Hood zu retten. Irgendwie.
Rictus kam hinter ihm drein die Treppe herunter und quatsch-te dabei wie ein aufgezogener Verkäufer.
»Was hättest du denn gerne?« fragte er. »Du brauchst es dir nur vorzustellen, und schon gehört es dir! Wie wär’s mit einem Motorrad?« Bei diesen Worten tauchte etwas Glänzendes auf dem nächsten Treppenabsatz auf, und das tollste Motorrad, das je ein Mensch erblickt hatte, rollte in Sicht. »Junge, das gehört dir!« rief Rictus.
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»Nein, danke!« sagte Harvey.
»Ich kann dir ja keinen Vorwurf machen!« erwiderte Rictus und versetzte dem Motorrad im Vorübersausen einen Tritt.
»Wie wär’s denn mit Büchern ? Magst du Bücher?«
Bevor Harvey antworten konnte, hob sich direkt vor ihm die Wand wie ein großer Ziegelvorhang, und zum Vorschein kamen Regale über Regale mit ledergebundenen Folianten.
»Die Meisterwerke der Welt!« pries Rictus. »Von Aristoteles bis Zola! Nein?«
»Nein!« sagte Harvey und machte, daß er weiterkam.
»Es muß doch irgend etwas geben, was du möchtest«, sagte Rictus.
Sie waren schon beinahe am letzten Treppenabsatz, und Rictus wußte, daß ihm nicht mehr allzu viel Zeit blieb, bis sein Opfer draußen im Freien war.
»Magst du Hunde?« fragte Rictus, während ein ganzer Wurf kläffender Welpen die Stufen hinaufwuselte. »Such dir einen aus! Ach was, zum Teufel, nimm alle!«
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Harvey schwankte, aber dann stieg er über sie hinweg und ging weiter.
»Dann vielleicht eher etwas Exotisches?« fragte Rictus, und schon flatterte ein leuchtend bunter Papageienschwarm von der Decke. Harvey scheuchte sie fort.
»Zu viel Krach, hm?« meinte Rictus. »Du hättest gern etwas Ruhiges, Mächtiges. Tiger! Das wär’s! Tiger!«
Er hatte es noch nicht ausgesprochen, da tappten sie schon unten in der Diele hervor: zwei weiße Tiger mit Augen wie poliertes Gold.
»Hab’ keinen Platz dafür!« sagte Harvey.
»Praktisch gedacht!« meinte Rictus. »Ich schätze praktische Kinder.«
Während die Tiger wieder davonschlichen, fing das Telefon auf dem Tisch neben der Küchentür zu klingeln an. Mit zwei Sprüngen war Rictus die Treppe hinunter und mit zwei weiteren am Tisch.
»Hör dir das an!« rief er. »Der Präsident der Vereinigten Staaten! Er möchte dir einen Orden verleihen!«
»Nein, will er nicht«, sagte Harvey, der dieses Gelaber jetzt satt hatte. Er war bereits am Fuß der Treppe angelangt und wollte quer zur Vordertür hinüberlaufen.
»Du hast ja recht«, sagte Rictus, der schon wieder das Ohr am Telefon hatte. »Er möchte dir ein Ölfeld schenken, in Alaska!«
Harvey ging einfach weiter. »Nein, nein, ich habe das falsch verstanden! Er möchte dir ganz Alaska schenken!«
»Zu kalt.«
»Er sagt: Wie wär’s mit Florida?«
»Zu heiß.«
»Junge! Harvey Swick, dir kann man’s wirklich kaum recht machen!«
Harvey beachtete ihn gar nicht, sondern drehte am Knauf der Vordertür. Rictus warf den Telefonhörer auf die Gabel und rannte zu ihm.
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»Warte!« brüllte er. »Warte! Ich bin ja noch gar nicht fertig.«
»Du hast nichts, was ich möchte«, sagte Harvey und drückte die Vordertür auf. »Alles nur Fälschungen.«
»Was macht das schon?« sagte Rictus plötzlich in gedämpf-tem Ton. »Die Sonne da draußen ist ja auch eine, und doch kannst du sie genießen. Und eines will ich dir mal verraten, man braucht ‘ne ganze Menge Zauberei, um so viel Lug und Trug zu
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