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Das Haus der verschwundenen Jahre

Das Haus der verschwundenen Jahre

Titel: Das Haus der verschwundenen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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»Echte, lebendige kleine Tiere.«
    »Ich liebe Herausforderungen«, sagte Hood, und sofort bellte und brüllte es drinnen in der Arche, daß alles nur so schepper-te. Die kleinen Fenster und Türen flogen weit auf, und ein halbes Hundert Tiere kam zum Vorschein, jedes eine perfekte Miniaturausgabe: Elefanten, Giraffen, Hyänen, Erdferkel, Tauben …
    »Zufrieden?« fragte Hood.
    Harvey zuckte mit den Schultern. »Ich schätze, es geht so«, sagte er.
    »Geht so?« rief Hood. »Es ist ein kleines Wunder.«
    »Dann mach mir noch eines.«
    »Noch eine Arche?«
    »Ein anderes Wunder!«
    »Was für eines hättest du denn gern?«
    Harvey drehte dem Hood-Haus den Rücken zu und betrachtete die Wiese. Der Anblick von Mrs. Griffin, die ihn verblüfft beobachtete, brachte ihn auf seine nächste Forderung, und er sagte: »Ich möchte Blumen. Überall! Und keine soll aussehen wie die andere.«
    »Wozu?« fragte das Hood-Haus.
    »Du hast gesagt, ich könnte haben, was ich wollte«, antwortete Harvey. »Du hast nicht gesagt, ich müßte eine Begründung dafür geben. Wenn ich das tun muß, macht das Ganze keinen Spaß mehr.«
    »Nun, das möchte ich auf keinen Fall«, sagte das Hood-Haus.
    »Du sollst deinen Spaß daran haben, egal was es kostet.«
    »Also gib mir die Blumen«, beharrte Harvey.
    Da fing die Wiese wie bei einem kleineren Erdbeben zu zittern an, und im nächsten Moment sprossen zahllose Schöß-
    linge zwischen den Grashalmen empor. Mrs. Griffin lachte laut 196

    vor Vergnügen.
    »Schau dir das an!« rief sie. »Schau bloß!«
    Es war wirklich ein toller Anblick: Zehntausende Blumen öffneten gleichzeitig ihre Blüten. Auf Befragen hätte Harvey einige dem Namen nach gekannt: Tulpen, Narzissen, Rosen.
    Aber die meisten waren ihm völlig fremd: Arten, die nur nachts hoch oben am Himalaya blühten oder auf den winddurchtosten Plateaus von Feuerland; Blumen mit Blüten so groß wie sein Kopf oder so winzig wie sein Daumennagel; Blüten, die wie verfaultes Fleisch stanken oder wie ein Himmelshauch dufte-ten.
    Obwohl er wußte, daß alles nur Illusion war, war er doch beeindruckt, und er sagte es auch.
    »Sieht gut aus«, erklärte er dem Hood-Haus.
    »Zufrieden?« wollte es wissen.
    Klang dessen Stimme tatsächlich ein wenig matter als vorher?
    Harvey überlegte. Er hatte einen Verdacht, ließ sich aber nicht das geringste anmerken, sondern sagte nur:
    »Wir sind auf dem besten Wege …«
    »Auf dem Wege wohin?« sagte das Hood-Haus.
    »Na«, meinte Harvey, »schätzungsweise werden wir’s wissen, wenn wir da sind.«
    Aus dem Haus tönte ein tiefes, irritiertes Knurren. Es rüttelte an den Fenstern, und ein, zwei Platten rutschten vom Dach und blieben zerschmettert auf dem Boden liegen.
    Ich werde vorsichtig sein müssen, dachte Harvey. Hood wird allmählich wütend. Rictus sprach seinen Gedanken laut aus.
    »Hoffentlich hast du nicht vor, Mr. Hood hinters Licht zu führen«, warnte er. »Solche Spielchen mag er gar nicht.«
    »Er möchte doch, daß ich glücklich bin, oder?« fragte Harvey.
    »Natürlich.«
    »Wie wär’s dann mit etwas zu essen?«
    »Die Küche ist voll«, sagte Rictus.
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    »Ich will aber keine Kuchen und Hot dogs, sondern –«, er stockte und durchstöberte sein Gedächtnis nach Delikatessen, die er nur dem Hörensagen her kannte. »Gebratenen Schwan und Austern und diese kleinen, schwarzen Eier.«
    »Kaviar?« fragte Rictus.
    »Genau! Ich möchte Kaviar!«
    »Wirklich? Schmeckt abscheulich!«
    »Trotzdem möchte ich’s!« sagte Harvey. »Und dazu Frosch-schenkel und Meerrettich und Granatäpfel …«
    Und schon erschienen die Gerichte auf dampfenden Tellern in der Diele, eines über dem anderen. Zuerst duftete es verführerisch, aber je länger Harvey s Menüliste wurde, desto fürchterlicher roch das Gemisch. Sehr rasch fielen ihm immer weniger echte Gerichte ein und er begann, Speisen zu erfinden, allerdings keine Rezepte für Fleischbällchen und Pizzas, die für das Haus einfach zu realisieren waren.
    »Ich möchte Hummer in Limonade und Pferdeschnitzel mit Gummibärchensoße, Kuchen aus Hüttenkäse und Pepperoni-suppe …«
    »Halt! Halt!« rief Rictus. »Nicht so schnell!«
    Aber Harvey hörte nicht auf.
    »Und Rosenkohleintopf und Schneckenfondant mit Schweinsfüßchen garniert –«
    »Halt!« jaulte das Haus auf.
    Und diesmal hielt Harvey tatsächlich inne.
    In seiner Begeisterung hatte er immer mehr erfunden und sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu überprüfen, ob Hood auch

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