Das Haus im Moor
Gesicht sehr knochig, wie aus Granit gehauen. Sein Mund war groß, die Lippen waren voll und – verglichen mit den übrigen Gesichtszügen – weich. Aus dieser Entfernung schienen seine Augen farblos zu sein, und als er Constance ansah, spürte sie, wie sie schauderte. Sie konnte verstehen, daß Millie Angst bekommen hatte. Er war so groß, er sah so hart aus – und distanziert. Das war’s: distanziert.
Sein Vater sagte gerade: »Diese Dame hier, Mrs ….?« Er hielt inne und Constance ergänzte: »Stapleton.«
»Oh, ja, Mrs. Stapleton. Sie ist an Hall interessiert, Vin.«
»Ach ja?« Die große Gestalt bewegte sich einen Schritt vorwärts. »Waren Sie schon oben?«
»Ja.«
»Und es gefällt Ihnen?«
Sie sah jetzt zu ihm hinauf: »Ich mag es sehr. Ich … ich weiß nicht, ob ich dauernd dort leben könnte, aber … aber wir würden es für den Anfang als Wochenendhaus nutzen, wenn … wenn wir uns über den Preis einigen können.«
»Gut, in Ordnung.« Sean stellte sich neben seinen Sohn und sagte schnell: »Es ist ganz billig. Wir wollen fünfzehnhundert dafür.«
Der große Mann starrte seinen Vater an. Sein Mund war leicht geöffnet, als ob er etwas sagen wollte. Doch dann richtete er seine Augen wieder auf Constance und wartete.
Ein Haus wie dieses hätte in Stadtnähe um die sechstausend bringen können, wenn es über die wesentlichen Dinge wie Wasser, Strom und ein Bad verfügt hätte. Es stand aber auf einem sehr unzugänglichen Flecken Erde in Northumberland. Sie verlangten viel Geld. Constance hatte an tausend gedacht. Aber allem Anschein nach hatten sie sogar mehr als fünfzehnhundert dafür haben wollen. Der Sohn war von der Forderung seines Vaters ganz offensichtlich überrascht.
»Und das ist ein Angebot, glauben Sie’s ruhig. Eigentlich ist es zweitausend wert.« Sean O’Connor ging jetzt zu der Feuerstelle, und Constance bemerkte den Gesichtsausdruck seiner Frau. Er sah sie nicht an, fuhr aber fort: »Wir stehen unter Druck, sonst würden wir uns nicht davon trennen. Nein, nicht eine Minute lang. Aber in der Not frißt der Teufel Fliegen.«
»Nehmen Sie eine Tasse Tee.« Florence reichte Constance eine Porzellantasse mit blauem Rand. Sie nahm sie an und sagte: »Vielen Dank.« Sie beobachtete, daß auch Peter nicht ablehnte, obwohl er sich nicht viel aus Tee machte.
Sie führte die Tasse zum Mund und wollte gerade daran nippen, als sie merkte, daß Vincent O’Connor sie immer noch anstarrte. Sie erwiderte den Blick und sagte zu ihm: »Würden Sie mir ein bißchen Zeit geben, um darüber nachzudenken? Ich … ich schreibe Ihnen noch heute Abend, wie ich mich entschieden habe.«
Er sah sie noch einen Augenblick lang an, entgegnete dann: »Sehr gut«, drehte sich abrupt um und verließ den Raum.
Constances Aufmerksamkeit wurde wieder auf die große Frau gelenkt, die neben dem Fenster saß. Sie öffnete ihre Manschettenknöpfe, rollte die Ärmel wieder hoch, wuchtete ihren schweren Körper aus dem Stuhl und sagte: »Er ist verärgert. Das hättest du nicht tun sollen. Dafür reicht’s bei dir einfach nicht. Du hättest es ihm überlassen sollen.«
»Hannah!« Florence O’Connor sprach den Namen genauso aus wie vorher den ihrer Tochter. Es war ein Verweis, und es waren keine weiteren Worte nötig, um ihre Mißbilligung deutlich zu machen.
Hannah hielt in der Tür inne, ihr Gesicht war schon vom Halbdunkel des angrenzenden Raumes verdeckt, und ihre Stimme war nur noch ein Murmeln, als sie sagte: »Du konntest wohl wieder den Hals nicht voll kriegen. Und was hast du jetzt davon?«
Sean O’Connor war rot angelaufen und blickte zu seiner Frau, die Constance ansah und sagte: »Es tut mir Leid, ich habe Ihnen gar nichts zu essen angeboten. Möchten Sie ein Stück Johannisbeerkuchen? Ich habe ihn heute Morgen gebacken.«
»Nein, danke. Wir … haben gerade auf der Terrasse gepicknickt.«
Constance deutete vage zum Haus hinauf.
Als Florence sich wieder zum Kamin wandte, wo ihr Mann am Sims lehnte, machte Constance Peter ein Zeichen, und beide standen auf.
In diesem Augenblick drang vom Hof her der Klang von Kinderstimmen zu ihnen herein, und schon kamen zwei Jungen ins Zimmer gestürmt. Einer von ihnen sah aus wie Sean O’Connor: klein, dünn und braunhaarig, der andere war größer, schwarzhaarig und hatte dunkle Augen. Dicht hinter ihnen erschien ein junges Mädchen, das genauso schwarze Haare wie sein Bruder, braune Augen und eine cremefarbene Haut hatte. Es hatte den Kopf
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