Das Haus im Moor
sein.«
Constance lachte, und er erklärte: »Ich bin gerade auf dem Weg zu den O’Connors. Es ist ein ganz schönes Stück, bis es wieder bergab geht. Schönen Tag noch. Wir werden uns zweifellos wiedersehen.«
»Guten Tag, Vater.«
Während die schwarzgekleidete Gestalt das Fahrrad weiter die Anhöhe hinaufschob, setzte sich Constance ans Ufer des Baches und starrte ins Wasser, das um die Steine gurgelte.
Mehr als einmal in ihrem Leben hatte sie mit dem Gedanken gespielt, einen Beichtstuhl zu betreten und sich einem Priester zu offenbaren. Sie wollte keine Vergebung, sie wollte einfach nur mit jemandem über diese dunkle Sache sprechen, die ihr Leben überschattete. Was soll ich tun, Vater? Soll ich meinen Mann verlassen, oder soll ich bei ihm bleiben? Und wäre sie überhaupt in der Lage, durch das dunkle Gitter hindurch zu sagen, daß sie ihren Mann verlassen wollte, weil er eine Schwäche für junge Mädchen hatte? Nein, sie hätte ihn unmöglich verraten können, auch nicht an einen Fremden.
Constance hatte beinahe eine Stunde an dem Bach gesessen, bevor sie sich auf den Rückweg machte, und als sie schon fast zu Hause war, fühlte sie sich ziemlich matt. Aber sie wußte, daß sie nur noch um einen Hügel herumlaufen mußte, dann würde sie bereits das Haus sehen können.
Da hörte sie auf einmal Hannahs unverwechselbare Stimme: »Gut! Sie haben mich also gefunden. Und was wollen Sie jetzt machen?«
»Wenn Sie ein reines Gewissen hätten, würden Sie nicht versuchen, sich zu verstecken.« Es war der Priester, der Hannah diese Worte entgegenschleuderte, und Hannah bellte zurück: »Wer versteckt sich denn hier? Ich gehe nur spazieren.«
Dann war Stille, und Constance bewegte sich nicht. Dieser Wortwechsel war offensichtlich sehr privater Natur gewesen, und sie wußte nicht, ob sie sich zeigen oder umkehren und auf der Rückseite zum Haus gehen sollte. Da hörte sie erneut Hannahs Stimme: »Schon gut, schon gut, es wird eh keinen Frieden geben, bevor Sie’s nicht losgeworden sind, aber vergessen Sie nicht, ich hab das alles schon gehört, und Sie verschwenden nur Ihre Zeit. Wenn Sie’s also nochmal versuchen wollen, würde ich an Ihrer Stelle absteigen. Das sieht nämlich nach einer langen Sitzung aus.«
Constance machte einen Schritt weiter und konnte jetzt den Priester sehen. Er sah auf Hannah hinab, als ob ihm ihr bloßer Anblick schon zuwider wäre. Zweifellos wurde dieses Gefühl noch dadurch verstärkt, daß er sie nicht in die Knie zwingen konnte, denn sie lachte spöttisch, als sie sagte: »Also, ich warte, Sie verschwenden wertvolle Zeit. Machen Sie schon, Patrick, Sie sollten es hinter sich bringen.«
»Wagen Sie es nicht, mich Patrick zu nennen, Weib!« Der Priester biß die Zähne zusammen.
»Und warum nicht?« Hannah warf den Kopf zurück und lachte laut und gemein. »Mister würde Ihnen auch nicht gefallen, oder? Und Sie können warten, bis Sie schwarz werden: Ich werde Sie nicht ›Vater‹ nennen … Was haben Sie gesagt?« Sie ging auf ihn zu. »Gott sei Dank? Also, irgendwas haben Sie gesagt, und so hat es sich angehört. Ich wiederhole es, und ich habe es Ihnen schon früher ins Gesicht gesagt: Ich werde Sie nicht ›Vater‹ nennen. Vater Bateman, ach – den würde ich jeden Tag in der Woche mit diesem Titel anreden. Er ist nämlich ein Priester Gottes. Sie sind das nicht!«
Vater Shelleys Gesicht war fahl geworden, und er schwieg. Ihm blieb nichts anderes übrig als Hannah zuzuhören. »Um Gottes willen, werden Sie bloß nicht ohnmächtig. Kommen Sie und setzen Sie sich. Dann können Sie mir noch leichter Vorwürfe machen.«
Vater Shelley schluckte, bevor er sagte: »Ich habe Sie nicht aufgespürt, um mich mit Ihnen zu unterhalten, sondern um Ihnen zu sagen, daß Sie zur Beichte gehen und um die Sakramente bitten müssen. Das ist schon lange überfällig. Tun Sie’s, bevor es zu spät ist. Sie werden nicht jünger, vergessen Sie das nicht.«
»Ach, Sie brauchen mich nicht daran zu erinnern. Es ist wirklich schade, schließlich hindert es mich daran, die Ergebnisse von noch mehr Sünden aufzuspüren.«
Vater Shelley antwortete scharf: »Ich bin Gottes Priester, und als solcher müßte ich Ihnen vergeben, aber das kann ich nicht. Im Augenblick sehe ich nur ein liederliches, unverschämtes Weib. Sie haben mir einmal erzählt, daß Vater Bateman Ihnen gesagt hätte, Sie gehörten zu den von Christus erwählten Menschen. Dieser Meinung bin ich nicht. Für mich sind Sie nichts
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