Das Haus im Moor
etwas!« Peter wollte sie zurückhalten, aber sie machte sich langsam von ihm frei und ging zu ihrem Mann. Sie nahm ein Taschentuch aus ihrer Tasche und drückte es auf die Schnittwunde. Dann zwang sie sich zu sagen: »Halt es fest.« Ihr Stimme war beinahe unhörbar.
Constance ging in die Küche und kam mit einem Streifen Pflaster wieder zurück, den sie über die Wunde klebte. Dann sagte sie, erneut mit großer Anstrengung: »Vielleicht muß es genäht werden.«
»Ach!« Jim stieß ein höhnisches Lachen aus. »Vielleicht muß es genäht werden, sagt sie. Er sticht mich nieder, und das ist alles, was sie dazu zu sagen hat: Vielleicht muß es genäht werden.« Er stand auf und zog sich wieder an. Jedes Mal, wenn er den Arm dabei bewegen mußte, zuckte er zusammen. Die Krawatte steckte er in die Tasche, und aus dem Schrank unter der Treppe nahm er einen anderen Mantel und einen Hut. Als er fertig war, sah er Constance an und wiederholte schneidend: »Vielleicht muß es genäht werden. Es ist dir verdammt egal, ob ich noch fahren kann. Verdammt egal ist es dir.« Sein wütender Blick traf Peter, und er musterte seinen Sohn einige Sekunden lang, bevor er sagte: »Und was dich betrifft, du verlogener, Unheil stiftender kleiner Scheißkerl, du hättest es verdient, daß ich geradewegs zur Polizei gehe und dich anzeige. Mein eigener Sohn hat mich niedergestochen, hat versucht, mich umzubringen!«
»Aber das wirst du nicht tun, nicht wahr? Weil ich ihnen nämlich den Grund dafür erzählen würde! Und wenn ich ein verlogener Scheißkerl …«
»Sei still, Peter. Sei still.«
Aber Peter stieß die Hand seiner Mutter weg und wiederholte: »Verlogener Scheißkerl, ich? Gut, nur zu deiner Information: Ich habe dich wochenlang überwacht … die ganzen Sommerferien über.«
»Peter!« Constance stellte sich vor ihn. Dann wandte sie sich an Jim und schrie voller Bitterkeit: »Mach schon, hau ab! Hau endlich ab!«
Jims Gesicht war purpurrot vor Wut, und seine Stimme klang, als ob er an den Worten ersticken würde: »Gott! Soweit ist es also gekommen. Neujahr, und ich werde niedergestochen, und dann soll ich auch noch gehen.« Er knallte die Tür hinter sich zu, und Constance wunderte sich erneut über seine Fähigkeit, die Verantwortung auf andere abzuwälzen.
Dann wandte sie sich an Peter, schlang ihre Arme um ihn und führte ihn zum Sofa. Sobald sie nebeneinander saßen, senkte er den Kopf, biß sich auf die Lippen und begann, bitterlich zu weinen.
Sie drückte ihn an sich und strich ihm über das Haar, sagte aber nichts. Als der Krampf vorüber war, rückte er von ihr ab, schneuzte sich und trocknete sein Gesicht. Dann murmelte er: »Ich konnte nichts dagegen tun. Er hatte sie gepackt, und sie hat sich gewehrt.«
»Es ist schon gut,« antwortete sie ruhig. »Ich habe gesehen, was passiert ist.«
Er schüttelte langsam den Kopf und sagte: »Ich wollte dir schon vor Wochen davon erzählen, aber ich hatte Angst, du würdest dich zu sehr aufregen, und … und ich wußte auch nicht genau, ob du davon wußtest … Wußtest du es?«
»Nein.«
»Das dachte ich mir, aber ich …«
»Wie hast du es herausgefunden?« unterbrach sie ihn mit tonloser Stimme und preßte die Hände so fest zusammen, daß die Knöchel weiß wurden.
Peter stand auf, stützte seine Arme auf den Kaminsims und murmelte: »Es war an dem Tag, als ich aus dem Urlaub zurückkam. Er war angeblich auf seinem Spaziergang im Moor, und dann sah ich ihn, direkt unten am Armstrong-Denkmal. Er war offensichtlich in Eile und nahm dann den Bus in Richtung Leazes Park. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, ihm zu folgen.« Er dachte kurz nach und fuhr fort: »Doch, ich weiß, warum. Ich hatte ihn schon seit längerer Zeit in Verdacht. Er stieg am Ende der Queen Victoria Road aus und ging am Krankenhaus vorbei. Ich dachte schon, ich hätte ihn verloren, aber dann sah ich ihn wieder, als er in den Park ging. Ich parkte das Auto und folgte ihm zu Fuß. Er ging etwa zehn Minuten kreuz und quer durch alle möglichen Straßen, bis er schließlich die Quilter Street erreichte. Ich wußte da noch nicht, in welches ein Haus er gegangen war, denn als ich nahe genug war, war er schon verschwunden.«
Peter schwieg und sprach erst weiter, als Constance ihn aufforderte: »Erzähl. Ich will alles wissen.« Er fragte: »Wirst du ihn verlassen?«
»Erzähl weiter und sag mir, was du weißt.« Sie starrte auf ihre Hände.
Er holte tief Luft und ließ den Kopf hängen.
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