Das Haus in den Dünen
führte. Stumm blieb er stehen. Er suchte nach Worten, die ausdrücken konnten, wie er sich fühlte. Schließlich fiel ihm nur ein Gebet ein. Er verneigte sich, als er die Grabstätte verließ und zur Dienststelle zurückkehrte.
»Wir warten schon auf dich«, sagte Till, als er Trevisan auf dem Flur begegnete.
»Ist Monika schon zurück?«
Till schüttelte den Kopf. Trevisan schaute auf seine Armbanduhr. Es war bereits nach sechzehn Uhr.
»Gut, dann fangen wir ohne sie an«, entschied Trevisan. »Ich komme gleich. Ich muss mich erst noch frisch machen.«
*
Trevisan stand vor dem Waschbecken und betrachtete sein bleiches Gesicht. Dunkle Ränder umgaben seine Augen. Er fühlte sich müde und schlapp. Er drehte den Wasserhahn auf und benetzte seine Haut mit kaltem Wasser. Es erfrischte ihn ein wenig.
Als er die Toilette verlassen wollte, klingelte sein Mobiltelefon. Er meldete sich und war überrascht, Angelas Stimme zu hören.
»Hallo, Martin, ich hörte, du hast mich angerufen«, fragte sie.
»Mehrmals«, antwortete Trevisan.
»Ich musste noch einmal nach München, aber du warst ja nicht zu erreichen«, sagte sie.
»Ich habe gearbeitet«, stellte Trevisan klar.
Angela war feinfühlig genug, den ärgerlichen Unterton nicht zu überhören. »Bist du mir böse?«
Trevisan atmete tief ein. »Habe ich nicht gesagt.«
»Gut, dann ist ja alles klar«, antwortete Angela und nahm Trevisan jede Chance, sich seinem Selbstmitleid zu ergeben.
»Ja«, krächzte er.
»Ich komme heute Abend, holst du mich am Bahnhof ab?«
»Ich weiß nicht, ob ich Zeit dazu habe. Wir stecken mitten in den Ermittlungen. Vielleicht muss ich das ganze Wochenende arbeiten.«
»Wenn du nicht da bist, nehme ich ein Taxi. Einen Schlüssel habe ich ja.«
Angelas Antworten verwirrten ihn immer wieder. Er ahnte, dass sie wie eine Katze um den heißen Brei schlich und sich nicht auf Trevisans Sinn-und-Zweck-Diskussion einlassen wollte. Geschickt wich sie ihm aus und nahm ihm jede Möglichkeit, ihr mitzuteilen, wie schlecht er sich gerade fühlte.
»Ich komme auch ein bisschen wegen dir«, sagte sie schließlich, ehe sie das Gespräch beendete.
Trevisan grinste, als er das Telefon wieder in seine Tasche steckte.
*
Holger Bergen hatte in seinem Lebensmittelmarkt bis kurz vor ein Uhr gearbeitet, ehe er sich bei seinen Mitarbeitern verabschiedete. Er hatte einen wichtigen Termin, der keinen Aufschub duldete. Seit er im letzten Jahr zum Vorsitzenden des Heimat- und Inselvereins gewählt worden war, war er für verschiedene Projekte verantwortlich. Und eines dieser Projekte hatte er selbst ins Leben gerufen. Es ging um die Renovierung des alten Wasserturms, dem weit über die Region hinaus bekannten Wahrzeichen der Insel.
Neben der Stiege und diversen Dielen und Planken mussten auch einige Bretter im Dachgeschoss ausgebessert werden.
Holger Bergen hatte Farbe besorgt, denn auch die Fassade sollte bald wieder im hellen Glanz erstrahlen.
Zusammen mit zwei weiteren Vereinsmitgliedern ging er am frühen Nachmittag die Renovierungsarbeiten an. Das Wetter war für ihr Vorhaben ausgezeichnet. Eine leichte Brise wehte über die Dünenlandschaft und strich über den sanften Hügel oberhalb des Dorfes, auf dem der Turm erbaut worden war. Holger Bergen streifte einen weißen Overall über und packte die mitgebrachten Pinsel aus.
Für den Rest des Tages wurde der Turm für Besucher gesperrt. Die meisten Tagesausflügler hatten bereits den Rückweg zum Hafen angetreten. Während seine beiden Kollegen im oberen Stockwerk eine Diele auswechselten, widmete sich Holger Bergen der Türeinfassung. Er trug die wetterfeste Farbe dick auf, damit sie auch wirklich deckte. Drinnen hämmerten seine Vereinskollegen. Erneut tauchte er den Pinsel ein, als er hinter sich eine Bewegung wahrnahm.
»Der Turm ist gesperrt«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Sie müssen am Montag wiederkommen.« Er strich mit dem Pinsel über den Türrahmen.
Die Person stand noch immer hinter ihm.
»Haben Sie nicht gehört?«, fragte er und wollte sich umdrehen.
Ein Schuss peitschte auf. Er spürte einen brennenden Schmerz. Ungläubig schaute er in das vermummte Gesicht, ehe er zu Boden stürzte.
Einer seiner Kollegen trat mit einem Hammer in der Hand aus der Tür. »Was ist hier los?« Als er den Hammer drohend hob, machte die dunkel gekleidete Gestalt auf dem Absatz kehrt, rannte die Treppe hinab, die zum Turm führte, und verschwand in Richtung der Dünenlandschaft.
Bergens
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