Das Haus in den Dünen
Schülerin. Erst auf dem Elternsprechtag letzte Woche haben deine Lehrer sich nur positiv über dich geäußert. Du lernst, machst deine Hausaufgaben ordentlich und bringst nur gute Noten mit nach Hause. Ich bewundere dich. Ich glaube, diesen Ehrgeiz hast du von deiner Mutter. Von mir kannst du ihn jedenfalls nicht haben. Ich war nur Durchschnitt.«
Paula warf ihm einen scharfen Blick zu und stürmte aus dem Wohnzimmer. Trevisan schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, was in seine Tochter gefahren war. Zwar hatte das Schuljahr erst begonnen, aber im letzten Jahr hatte sie in den Hauptfächern zwischen eins und zwei gestanden, und auch die ersten Tests in diesem Jahr belegten ihre guten Leistungen. Er würde mit ihr noch einmal darüber reden müssen. Und er würde ihr sagen, dass es nicht darauf ankam, welche Noten die Mitschülerinnen nach Hause brachten, sondern dass für ihn nur sie wichtig war. Selbst wenn sie nur eine mittelmäßige Schülerin wäre, würde er sie deswegen nicht weniger lieben.
Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz nach elf. Seufzend erhob er sich und ging hinaus in den Flur. Das Display seines Mobilgerätes zeigte eine Handynummer. »Trevisan«, meldete er sich.
»Du musst sofort kommen«, sagte Tina. »Wir haben einen Toten draußen am Ölhafen. Ein LKW-Fahrer ist erschossen worden. Alex und ich fahren gleich raus. Kleinschmidt habe ich schon informiert und Beck kommt auch an den Tatort.«
»Beck?«, wiederholte Trevisan. »Was will der da draußen?«
Er erhielt keine Antwort.
»Ich komme sofort«, sagte er schließlich und legte auf.
25
Der Tatort war weiträumig abgesperrt. Der Wind zerrte an dem rot-weiß gestreiften Absperrband. Der Nieselregen hatte nachgelassen. Scheinwerfer und Spots der Feuerwehr und der Polizei erhellten die Umgebung. Trevisan hatte seinen Wagen am Straßenrand geparkt, direkt hinter dem Leichenwagen.
Er blieb vor der Absperrung stehen und musterte die Umgebung. Diese Stelle lag keinen Kilometer von Voslapp entfernt, dennoch war es hier draußen am Damm einsam. Etwa fünfhundert Meter entfernt lag ein Campingplatz an der Straße, aber auch von dort ging keine Betriebsamkeit aus. Nur wenige trübe Lampen verströmten von dem weitläufigen Platz her ihr fahles Licht.
In der Nähe standen zwei uniformierte Kollegen. Sie unterhielten sich mit einem Mann im hellgrauen Arbeitsmantel, wohl der Fahrer des Leichenwagens. Trevisan nickte ihnen zu und kletterte über die Absperrung. Ein paar Kollegen von der Spurensicherung waren mit Vermessungsarbeiten beschäftigt.
Das Blitzlicht des Fotoapparates flammte von Zeit zu Zeit auf. Tina stand mit Kleinschmidt und Beck neben dem großen Tanklaster, an dem noch immer das Warnblinklicht eingeschaltet war. Das Dröhnen der Generatoren, die Strom für die riesigen Scheinwerfer erzeugten, erfüllte die nächtliche Stille. Mitten auf der Straße lag eine Plane. Trevisan wusste genau, was sich darunter befand.
»Weiß man schon, was passiert ist?«, fragte er.
»Der Fahrer des LKW«, erklärte Tina, »er wurde mitten auf der Straße mit zwei Schüssen getötet. Einen in die Brust und den anderen in den Kopf. Tatort und Fundort sind identisch, der Täter hat sich keine Mühe gegeben, seine Tat zu verbergen. Er hat ihn einfach liegen lassen.«
»Weiß man, wer das Opfer ist?«
»Er heißt Willo Brunken, ist 34 Jahre alt und bei der FÖHA als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Die beliefern freie Tankstellen mit Sprit und Diesel.«
»Nachts?«
»Offenbar«, entgegnete Tina.
»Und wer hat ihn gefunden?«
Tina wies auf einen in der Nähe abgestellten Polizeibus. »Ein Arbeiter aus dem Ölhafen hatte Schichtende und ist hier langgefahren. Alex vernimmt ihn gerade.«
»Gibt es irgendwelche Spuren für einen Überfall?«, fragte Trevisan an Kleinschmidt gewandt.
»Bisher sieht es nicht danach aus«, entgegnete Horst Kleinschmidt. »Das Einzige, was wir bislang gefunden haben, ist das hier.« Er öffnete die Mappe in seiner Hand und reichte ihm eine kleine Plastiktüte. »Das lag direkt neben ihm.«
Trevisan betrachtete die Tüte mit dem kleinen Hemdenknopf darin. Er sog die Luft tief in seine Lungen. »Ist es der gleiche?«
»Ich muss ihn erst genau untersuchen, aber auf den ersten Blick würde ich ja sagen.«
Beck drängte sich in den Vordergrund. »Kannst du dir das erklären, Martin?«
»Wenn der Knopf mit dem identisch ist, den wir am Tatort bei Hans Kropp gefunden haben,
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