Das Haus in den Dünen
Bäche. Blitz und Donner störten die feierliche Ruhe des Sonntagnachmittages. Erst gegen Abend flaute die stürmische Brise etwas ab, der Regen ließ nach. Dennoch blieben die Straßen leer.
Uwe Lohmann fluchte, als er durchnässt bis auf die Haut den Klosterkrug am Ende des kleinen Dorfs westlich von Wilhelmshaven betrat.
»Moin, Uwe«, grüßte der Wirt hinter seinem Tresen, als Lohmann seinen triefenden Friesennerz an die Garderobe hängte.
»Keiner da?« Lohmann setzte sich an den Stammtisch direkt neben dem Tresen.
»Siehst du jemanden?«, fragte der Wirt.
Der Klosterkrug war leer. Der Sturm hielt offenbar auch die hartgesottenen Kneipengänger zu Hause. Doch nicht Uwe Lohmann, den Stauer vom Hafen. Der Klosterkrug war seine zweite Heimat. Er wohnte nur wenige Häuser entfernt – alleine, seit er das Haus nach dem Tod seiner Mutter vor sechs Jahren geerbt hatte. Es gab keine Frau in seinem Leben. Mit diesem Thema hatte er abgeschlossen. Für Zärtlichkeiten bezahlte er. Welche Frau würde sich schon mit ihm einlassen? Ungepflegt, übergewichtig und ein Trinker war er, hatte seine Mutter zu ihm gesagt, bevor sie starb.
»Bier und Korn?«, fragte der Wirt.
Lohmann nickte. »Was fragst du …?!«
»Willst du essen?«
»Was hast du?«
»Fisch, heute.«
»Dann trink ich lieber«, antwortete Lohmann.
Und er trank viel. Als er sich vier Stunden später vom Stammtisch erhob, schwankte er leicht. Zehn Bier und vier Korn hatte er sich einverleibt. Hunger hatte er nicht mehr.
»Bis morgen«, verabschiedete ihn der Wirt, als Lohmann seinen Friesennerz anzog.
Lohmann antwortete mit einem Rülpser, dann schlug die Tür hinter ihm zu. Der Wirt räumte das Glas ab und verschwand hinter dem Tresen, als es plötzlich draußen laut knallte. Der Wirt zuckte zusammen. Kam das Gewitter zurück? Es hatte doch längst zu regnen aufgehört.
Erneut zerriss ein Knall die Stille. »Verdammt, das ist kein Gewitter«, raunte der Wirt und humpelte zur Tür. Er warf einen Blick durch die kleine Scheibe im Türblatt, konnte aber nichts erkennen. Er wartete eine Weile und lauschte, doch es blieb ruhig. Schließlich öffnete er vorsichtig die Tür und warf einen Blick hinaus auf die Roffhauser Straße. Im trüben Schein der Straßenlaterne sah er einige Meter entfernt etwas auf der Straße liegen. Es war etwas Großes, Massiges und es schimmerte gelb.
Der Wirt schlug die Tür zu und schob den Riegel vor. So schnell wie nie zuvor hinkte er zurück zum Tresen und griff zum Telefon.
*
Trevisan schlief bereits seit einer Stunde, als ihn das Telefon aus dem Schlaf riss. Auch Paula wurde wach und irrte schlaftrunken durch den Flur.
»Ist für mich«, erklärte Trevisan, nachdem er das Gespräch angenommen hatte. »Geh wieder zu Bett.« Paula nickte nur.
»Was ist so spät noch?«, flüsterte er.
»Ein Mann wurde erschossen«, erklärte der Kollege vom Kriminaldauerdienst. »In Langewerth, mitten auf der Straße. Frau Sander und Kollege Petermann sind bereits draußen. Horst Kleinschmidt belädt gerade seinen Wagen.«
»Ich komme.« Trevisan schaute auf die Uhr. Es war zehn nach halb zwölf und in Sande regnete es.
30
»Das ist doch krank«, schimpfte Kleinschmidt. »Da ist jemand auf einem Rachefeldzug und niemand hält ihn auf.«
»Hast du einen Knopf gefunden?«, fragte Trevisan.
Kleinschmidt präsentierte den kleinen Plastikbeutel. »Lag direkt neben der Leiche. Sag mal, wie verrückt ist unsere Welt eigentlich geworden, was läuft hier, verdammt noch mal?«
»Das versuchen wir herauszufinden«, antwortete Trevisan. »Oder glaubst du, wir sitzen im Büro und drehen Däumchen.«
Kleinschmidt schüttelte den Kopf. »Ich frag mich bloß, wo das noch enden soll.«
Trevisan wandte sich ab. Die Leiche lag noch immer auf der Straße, eine schwarze Leichendecke spannte sich über dem massigen Körper. Das Licht aus leistungsstarken Strahlern vermischte sich mit dem feuchten Glanz des Asphalts. Trevisan fröstelte. Die Nacht war kühl und der Nieselregen durchnässte seinen Mantel. Dietmar schlenderte zu ihm herüber.
»Bislang gibt es keine Anhaltspunkte, auch die Geldbörse ist noch da«, erklärte er. »Der kam einfach aus der Kneipe und wurde erschossen. Der Wirt wartet drinnen.«
Keine Anhaltspunkte, wieder einmal, mittlerweile das Unwort des Jahres, dachte Trevisan. Er nickte. »Wie geht es deinem Jungen?«
»Er wird wieder ganz der Alte«, entgegnete Dietmar Petermann mit einem Lächeln.
Trevisan räusperte
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