Das Haus in den Wolken
geschäftlichen Vorschlag verhandelten, würde ich Ihnen darlegen, was ich zu bieten habe â ein eigenes Haus, Sicherheit, gesellschaftliches Ansehen. Ganz praktisch betrachtet â was haben Sie zu verlieren?«
»Sie meinen, was bleibt mir anderes übrig?« Ihr Ton war bitter. »Glauben Sie, ich wüsste das nicht? Eine Stellung als Köchin oder Haushälterin. Ein Zimmer unterm Dach mit ausrangierten Möbeln und einem offenen Kamin, der niemals brennt. Eine Herrschaft, die von mir erwartet, dass ich brav knickse und keine Grenzen überschreite. Und zur Erbauung darf ich Weihnachten auf der Personalfeier tanzen und mir hin und wieder ein Buch aus der Gemeindebibliothek ausleihen. Glauben Sie denn, mir graute nicht vor so einem Leben? Ich weiche meinem Schicksal schon viel zu lange aus.«
Sie waren am Hafen von Lynmouth angekommen. »Es muss nicht Ihr Schicksal sein«, sagte Richard. »Kommen Sie mit mir nach London, dann brauchen Sie solche Demütigungen nie wieder hinzunehmen.«
Sie hatte Tränen in den Augen. »Sie kennen mich nicht. Sie wissen nicht, wer ich bin, wie ich gelebt habe, was ich getan habe.«
»Wie alt sind Sie, Isabel?«
»Zwanzig â aber ich verstehe nicht, was das â«
»Sie sind also fünf Jahre jünger als ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie etwas so Schreckliches getan haben. Und wenn doch â wenn Sie eine böse Stiefmutter umgebracht und verscharrt haben â, dann gehört das der Vergangenheit an und hat mit mir nichts zu tun. Wenn Sie mich heiraten, können Sie neu anfangen. Sie bekommen einen neuen Namen, ein neues Heim in einer neuen Stadt. Sie können alles, was Sie erlitten haben, hinter sich lassen. Darum heiraten Sie mich, Isabel. Es gibt nicht einen Grund, Nein zu sagen.«
Die Hand auf den Mund gedrückt, sah sie ihn wortlos an. SchlieÃlich sagte sie: »Bitte warten Sie hier auf mich. Ich muss nachdenken.«
Richard sah ihr nach, als sie, eine schwarz-rote Gestalt, die Mole hinunterging bis zum Fuà des trutzigen alten Turms. Das Wasser stieg jetzt schnell, und die Boote, die bei Ebbe auf dem Trockenen gelegen hatten, schaukelten auf den Wellen. Aus dem Hafen wurde das Flutwasser wie durch einen Trichter zum Fluss hinaufgesogen. Richard konnte die Stelle erkennen, wo See und Fluss zusammentrafen, sich aufbäumten und untrennbar miteinander vermischten.
Es war später Vormittag, und die Bucht war in goldenes Licht gebadet. Richard setzte sich auf eine Bank, der Hund legte sich ihm zu FüÃen nieder. Als er nach einiger Zeit zum Turm blickte, sah er Isabel zurückkommen. Er stand auf, als sie näher kam. Er wusste, dass es ihm nicht gelingen würde, die Hoffnung und die Furcht zu verbergen, die ihn bewegten.
Sie blieb vor ihm stehen. »Was Sie vorhin über meine Vergangenheit gesagt haben â war das Ihr Ernst?«
»Aber ja. Ihre Vergangenheit geht mich nichts an. Heiraten Sie mich, Isabel.«
»Ja.«
Beinahe hätte er es nicht gehört, so leise hatte sie gesprochen. Ein groÃes Glück erfasste ihn. Als er sie in die Arme nahm, lieà die innere Erschütterung ihre Züge erzittern.
»Isabel. Meine Isabel. Sag es noch einmal. Sag, dass du mich heiratest.«
»Ja, Richard«, sagte sie gedämpft. »Ich heirate dich.«
Schon am folgenden Tag reisten sie nach London. In einem kleinen, vornehmen Hotel in einer ruhigen StraÃe hinter dem Strand mietete Richard Isabel eine Suite. In der Zeit bis zur Hochzeit war sie ständig beschäftigt mit Anproben bei Schneidern, Schuhmachern, Modistinnen, Handschuhmachern und Miedermachern.
Bei einem gemeinsamen Abendessen mit Richard am Tag vor der Hochzeit trug Isabel ein Kleid aus hauchzartem blassgrünem Stoff, dessen Mieder mit Spitze und schmalen schwarzen Bändern besetzt war. Diese eleganten Kleider, dachte er, waren wie für sie geschaffen, die ideale Folie für ihre eigenartige und strenge Schönheit.
Sie war still an diesem Abend und aà kaum etwas. Er schrieb es Beklommenheit vor der bevorstehenden Heirat zu und bemühte sich, sie zu abzulenken, indem er von Paris und Irland erzählte, den Zielen ihrer Hochzeitsreise. Nach dem ersten Gang entschuldigte sie sich und verlieà den Speisesaal. Als sie zurückkam, war sie noch blasser als zuvor.
»Ich habe crêpes au citron für uns beide bestellt«, sagte er. »Ich hoffe, du magst
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