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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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noch einen Teil seiner Selbstachtung eingebüßt.
    Er dachte an den Abend, an dem er und Sara durch den Bombenhagel gerannt waren. Die Farben am Himmel, der bebende Widerhall der Geräusche in der Luft. Er erinnerte sich an ihre Wärme, als er sie in den Armen gehalten hatte, um sie vor den fliegenden Glassplittern zu schützen, und wusste, dass er nie wieder so glücklich und so frei sein würde wie in jener Nacht, als er Hand in Hand mit einer Frau durch das brennende London gelaufen war.

16
    I HRE M UTTER WOLLTE DEN A RZT NICHT KOMMEN LASSEN. In den letzten Monaten ihrer Krankheit, als sie zu schwach wurde, um ins Wohnzimmer hinunterzugehen, hielt Maude Quinn sich nur noch in ihrem Schlafzimmer auf. Sie war geschrumpft, ein Schatten ihrer selbst, sie konnte kaum noch sehen, und die Geschwüre an ihren Beinen nässten. Einzig ihr eiserner Wille, der ließ sich nicht beugen. Sie wollte es Hannah einfach nicht erlauben, den Arzt zu rufen – wegen irgendeines Streits zu Beginn ihrer Krankheit, wegen irgendeiner nie vergessenen Beleidigung, und außerdem hatte Maude Quinn ohnehin nie viel von Ärzten gehalten –, und so kümmerte sich Hannah ganz allein um die Krankenpflege.
    Wenn ihre Mutter etwas brauchte, pochte sie mit der metallenen Abschlusskappe ihres Gehstocks auf den Fußboden. Der Trommelwirbel des Stocks verfolgte Hannah durchs ganze Haus; wenn sie gerade Kleidung im Spülbecken wusch oder in der Küche backte, zitierte der Stock sie herbei. Tack, tack, tack… dröhnte es dumpf durchs ganze Haus, und Hannah rannte die Treppe hinauf, um das Kopfkissen ihrer Mutter zu richten oder ihr beim Trinken zu helfen. Maude Quinn schien unentwegt durstig zu sein. Hannah hielt das Wasserglas an die trockenen, aufgesprungenen Lippen ihrer Mutter, und die trank so gierig, als hätte sie seit Tagen nichts bekommen. Wassertropfen liefen ihr das Kinn hinab und tropften ihr aufs Nachthemd. Dann sank sie ins Kissen zurück, mit geschlossenen Augen, und eine Weile herrschte wieder Frieden im Haus. Doch dann setzte das Klopfen erneut ein. Tack, tack, tack… rund um die Uhr, Tag und Nacht hämmerte der Stock die Zeit in Hannahs Herz hinein.
    Wenn ihre Mutter mit dem Stock auf den Fußboden pochte, hoben die beiden jungen Mädchen vom Freiwilligen Arbeitsdienst bloß den Blick zur Decke und fuhren fort mit dem, was sie gerade taten – Eier sortieren, Milchkannen säubern oder das Frühstück hinunterschlingen, das Hannah ihnen zubereitet hatte. Hannah hatte Angst vor den beiden, die Diana und Marie hießen. Diana war breitschultrig und stark, und ihr blondes Haar kringelte sich in dicken Locken um ihr Gesicht. Wenn es regnete oder windig war, band sie sich stets ein grünweißes Kopftuch um, und sie sprach alle Wörter ganz anders aus als Hannah. Manchmal konnte Hannah sie nicht einmal verstehen und musste Diana bitten zu wiederholen, was sie gesagt hatte, was Diana dann auch sehr langsam und sehr deutlich tat – als wäre Hannah eine Idiotin.
    Marie war klein und mager und hatte kurze schwarze Locken, doch ihre Magerkeit hielt sie nicht davon ab, Kornsäcke auf Wagen zu hieven oder das Zugpferd auf den Feldern auf und ab zu führen. Regelmäßig im Laufe des Tages zündete Marie sich eine Zigarette an und rauchte; dann warf sie den Kopf zurück, zog das kleine, erschöpfte Gesicht zusammen und sog mit verträumtem Blick den Rauch in die Lungen. Einmal, kurz nachdem sie auf den Bauernhof gekommen war, hatte Marie auch Hannah eine Zigarette angeboten. Hannah hatte gestockt, ganz überrascht, dann aber den Kopf geschüttelt. Seitdem hatte Marie ihr keine mehr angeboten. Wenn Hannah über den Hof ging, sah sie Marie manchmal auf der Kante eines Fuhrwagens hocken oder in der Tür einer Scheune stehen und eine Zigarette rauchen. Ob Marie sie beobachtete, konnte sie jedoch nicht sagen.
    Diana und Marie waren ein eingeschworenes Paar. Ihre Gespräche versiegten, sobald Hannah das Zimmer betrat. Und wenn Hannah sie lachen hörte, fragte sie sich immer, ob die beiden über sie lachten. Diana und Marie waren dreister geworden, seit ihre Mutter ans Bett gefesselt war. Sie schliefen im Erdgeschoss des Hauses in einem Zimmer, in dem vor langer Zeit Hannahs Vater, Josiah Quinn, die Bücher des Bauernhofs geführt hatte. Als die zwei Freiwilligen kamen, waren die Regale vollgestopft gewesen mit Geschäftsbüchern

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