Das Haus in den Wolken
dunklen, intelligenten Augen herangewachsen. Seit einiger Zeit ging er in die Vorschule, und er hatte sich einige Umgangswörter angewöhnt wie »super« und »schrecklich«, die er vermutlich in der Schule aufgeschnappt hatte. Er erzählte ihr von seiner Lehrerin, Miss Harcourt, und von seinem besten Freund Butterworth, der einen Hund namens Pepper hatte.
»Schatz, hättest du gern einen Hund?«, rief Sara. »Der Labrador auf dem Bauernhof hat gerade die niedlichsten kleinen Welpen geworfen, die man sich vorstellen kann â ich könnte dir einen mitbringen, wenn du möchtest.« Und David dankte ihr höflich und sagte: »Ja, bitte, das wäre super.«
Dann war es Zeit für Davids Tee. Sara köpfte ihm sein weiches Ei und zeigte ihm, wie man Brotsoldaten ins Eigelb tunkte. Nanny Duggan, die missbilligend zusah, murmelte etwas von ungehörigen Tischmanieren. Dann aà David noch etwas Apfelkompott mit VanillesoÃe, und danach gingen die beiden Hand in Hand hinunter.
SchlieÃlich kamen auch Gil und Janet wieder in den Salon. David lieà Saras Hand los, rannte quer durchs Zimmer und rief: »Ich habe Brotsoldaten gemacht, Mama! Und ich habe sie in mein Ei getunkt!« Janet lächelte. »Wirklich, mein Liebling? Wie schön«, sagte sie und nahm ihn auf den SchoÃ.
Es war ihre eigene Entscheidung gewesen, ermahnte Sara sich selbst, als sie auf der Rückbank des Busses saà und zum Bauernhof zurückfuhr. Wenn David in Gils zukünftiger Ehefrau schon jetzt seine Mutter sah, konnte das nur gut sein. Und sie bedauerte ihre Entscheidung nicht, ganz und gar nicht. Daher war es doch ganz dumm, jetzt zu weinen, oder etwa nicht?
Dennoch musste Sara ihr Taschentuch aus der Handtasche holen und es sich an die Augen drücken, während drauÃen am dreckbespritzten Fenster die kahlen Bäume und gepï¬Ã¼gten Felder der Kreidelandschaft der englischen Downs vorüberzogen.
Es wehte ein kalter Wind, und die überschwemmten Wege und Felder waren eisüberfroren. Nach dem Gottesdienst in der Gemeindekirche ging Ruby über den Friedhof und lieà den Blick über die Grabinschriften gleiten. Auf Friedhöfen gab es so viele Geschichten, tragische Geschichten: im Alter von acht Wochen verstorbene Kleinkinder, manchmal auch eine ganze Reihe Geschwister, alle vom gleichen Fieber dahingerafft. GroÃe Lieben, Ehen, die vierzig oder fünfzig Jahre währten und nur ein Ende fanden, weil Ehemann und Ehefrau innerhalb weniger Wochen nacheinander gestorben waren. Auf einigen der alten Grabsteine waren die Worte nicht mehr zu entziffern, weil die altmodischen Buchstaben verwittert oder von Flechten bedeckt waren.
Sie blickte zurück zu den Leuten, die vor der Kirche standen. Mr. Merriman, der Rechtsanwalt von Maude Quinn, sprach immer noch mit Hannah. Die beiden freiwilligen Hilfskräfte steckten auÃerhalb des Kirchhofs die Köpfe zusammen und rauchten gemeinsam eine Zigarette. Die Handvoll anderer Trauergäste, ehemalige Landarbeiter und Hausbedienstete der Familie Quinn, drängten sich an die Kirchenmauer, als wollten sie sich vor dem Wind schützen.
Nirgends war ein Grabstein für Josiah Quinn zu ï¬nden, Maudes Ehemann und Hannahs Vater, dachte Ruby. Aber natürlich, Josiah Quinn war ja im Krieg gefallen. Vor der Kirche stand die Gedenktafel aus grauem Marmor, auf der die Namen der Männer aus der Gemeinde Manea verzeichnet waren, die im GroÃen Krieg gefallen waren. Ruby las die Namen der für das Jahr 1918 verzeichneten Toten: »Smart â¦Newell⦠Pope⦠Marshallâ¦Â« und noch einige weitere. Sie ging die Liste ein zweites Mal durch, nur um sicherzugehen, und überï¬og dann auch noch die Listen der früheren Jahre. Kein Quinn. Seltsam.
Einige Trauergäste begleiteten sie nach Nineveh zurück, und die Pfützen spritzten auf, wenn sie in ihren Gummistiefeln hindurchwateten. Ruby unterhielt sich mit Hannah und mit Mrs. Drake, die in einem der Gesindehäuser von Nineveh wohnte.
»War dein Vater ein Methodist, Hannah?«
Hannah sah Ruby mit ihrem verschreckten Kaninchenblick an. »Nein, nein, die Quinns waren immer Anglikaner.«
Ruby kam auf die Gedenktafel zu sprechen. »Onkel Josiah ist doch im Krieg gefallen, nicht? Ich dachte, sein Name wäre vielleicht auf einer anderen Gedenktafel verzeichnet, weil er einer anderen Kirchengemeinde angehörte.«
Hannah
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