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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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und der Wind bauschte und blähte die verblichenen Vorhänge, wirbelte die Papiere auf der Kommode und die Fransen der Bettüberdecke auf. Das Licht der Öllampe flackerte, und Schatten huschten über Maude Quinns totes Gesicht, sodass es sich zu bewegen schien.
    Hannah stand reglos da, entsetzt, die Hände vor den Mund geschlagen, und verharrte in ebenso panischer Angst vor ihrer toten Mutter wie früher vor der lebenden.

    Ihr Bauch begann wieder zu schmerzen. Als Hannah das Schlafzimmer ihrer Mutter verließ, spürte sie das erste Stechen.
    Sie ging in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett, die Knie an die Brust gezogen. Am liebsten hätte sie geschlafen, die monatelange Krankenpflege ihrer Mutter hatte sie erschöpft. Doch draußen tobte der laute Wind und in ihrem Bauch dieser stechende Schmerz, und dann war da noch der Gedanke, dass ihre Mutter nur ein paar Zimmer entfernt lag. Tack, tack, tack – sie glaubte, das Klopfen des Gehstocks ihrer Mutter zu hören, das sie herbeirief, und setzte sich auf. Sie zitterte und schwitzte. Entsetzt sah sie sich um und erwartete beinahe, dass sich die Tür öffnen und ihre Mutter eintreten würde. Und wieder: Tack, tack, tack … Erst da erkannte sie, dass es nur ein Ast des Baums vor dem Fenster war, der im Sturm gegen die Scheibe schlug.
    Du darfst Nineveh nie verlassen … Nun, das hatte Hannah schon immer gewusst.
    Nach mehreren Stunden ließ der Schmerz nach. Vorsichtig stand Hannah auf und ging an die Kommode, in der sie die Briefe aufbewahrte, die George Drake ihr geschrieben hatte. Dann legte sie sich wieder ins Bett, zog die Decke hoch und begann zu lesen. Sie kannte sie längst auswendig, doch es tat ihr gut, die Wörter auf dem Briefpapier zu sehen. Ihre Augenlider wurden schwer, und schließlich schlief sie ein.

    Als Hannah morgens durch den Flur ging, hörte sie Diana und Marie in der Küche miteinander reden. Hannah blieb vor der Tür stehen und musste erst all ihren Mut zusammennehmen, ehe sie sie öffnen konnte. Die zwei jungen Freiwilligen starrten sie an, als sie eintrat, und Hannah blickte zu Boden. Die beiden begrüßten sie, und auch Hannah murmelte ein Hallo. In der Küche war es kalt, weil sie verschlafen hatte. Im Herd brannte zwar ein Feuer – es durfte nie ganz ausgehen –, doch der Kamin war noch nicht angezündet. Diana und Marie trugen ihre Mäntel und Schals und drängten sich um den Herd. Sie strichen Butter aufs Brot, hatten den Schinkenspeck vom Haken genommen und schnitten dicke Scheiben davon ab.
    Hannah fühlte sich so fern von allem, als wäre sie gar nicht richtig da. Es gelang ihr zu sagen: »Meine Mutter ist letzte Nacht gestorben. Ich muss nach Manea gehen und den Vikar holen.«
    Ein kurzes Schweigen trat ein. Dann stieß Diana mit dem Mund voll Butterbrot hervor: »Allmächtiger, du meinst, sie liegt oben – tot?«
    Â»Diana«, ermahnte Marie ihre Freundin und bekreuzigte sich. Dann sagte sie zu Hannah: »Das kann ich machen, wenn du willst. Ich nehme das Fahrrad, da geht’s schneller.«
    Â»Danke.«
    Marie zog ihre Handschuhe an, die zum Wärmen auf dem Herd gelegen hatten. Diana murmelte: »Gott, das ist ja wirklich das reinste Gruselhaus – eiskalt, nirgends ein vernünftiges Badezimmer, und jetzt liegt auch noch eine Tote im oberen Stockwerk.« Dann begann sie, den Schinkenspeck anzubraten.
    Â»Du siehst ganz mitgenommen aus, du Arme«, sagte Marie freundlich zu Hannah. »Hier, nimm das erst mal.« Sie stellte ihren Becher heiße Schokolade vor Hannah auf den Tisch. Und an Diana gewandt, fügte sie hinzu: »Ich habe die Kühe gemolken, aber die Schweine sind noch nicht gefüttert. Es dauert nicht lange, also lass mir ein Schinkenbrot übrig.«

    Gil hatte ein Haus in der Nähe von Bristol gemietet. Wenn Sara von dem Bauernhof in Wiltshire aus, auf dem sie als freiwillige Hilfskraft arbeitete, David besuchen wollte, stand ihr eine komplizierte Reise bevor, auf der sie drei verschiedene Busse benutzen und dann noch einen langen Fußmarsch zurücklegen musste. Als sie endlich ankam, aß sie mit Gil und Janet zu Mittag. Nach seinem Mittagsschlaf wurde David von Nanny Duggan in den Salon heruntergebracht, wo Sara mit ihm spielte, während Gil und Janet im Gewächshaus arbeiteten. David war zu einem schönen kleinen Jungen mit einem dicken schwarzen Haarschopf und

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