Das Haus in den Wolken
Krankenschwester brachte ihm eine Tasse Tee. Er trank den Tee und rauchte, nur um überhaupt etwas zu tun zu haben, nicht weil es ihn nach Getränken oder Zigaretten verlangte. Das Schlimmste war die Ohnmacht. Irgendwo in diesem elenden Gebäude lag Isabel und litt, und er konnte nichts tun, um ihr zu helfen. Sie lieÃen ihn nicht einmal zu ihr â obwohl die Krankenschwester, als er wieder die Beherrschung zu verlieren drohte, freundlich zu ihm sagte: »Aber wenn Sie mit mir kommen, dann können Sie Ihren Sohn sehen, Mr. Finborough.« Er folgte ihr durch einen Korridor in ein kleines weià getünchtes Zimmer.
Vor allem empfand er Groll für diesen zerknitterten, puterroten Säugling in dem Kinderbett. Und Abneigung. Wenn Gott ihn in diesem Augenblick zwischen seiner Ehefrau und seinem Sohn hätte wählen lassen, hätte er sich ohne jedes Zögern für Isabel entschieden.
Eine Schwester mit vor Stärke knisternder Uniform kam herein. »Der Pastor ist hier. Mr. Finborough, wenn Sie bereit sind.«
Richard starrte sie verständnislos an. Dann begriff er. Sie wollte ihm zu verstehen geben, dass das Kind getauft werden müsse. Die unausgesprochenen Worte hingen geradezu in der Luft: für den Fall, dass es stirbt.
»Wir hatten uns noch nicht auf einen Namen festgelegt â«
Die freundliche Krankenschwester, die ihm den Tee gebracht hatte, sagte: »Mir hat Theodore immer besonders gut gefallen. Der Name bedeutet Gabe Gottes.«
Nicht gerade eine Gottesgabe, dachte Richard verbittert und sah wieder das kleine, kaum fertige Geschöpf in dem Kinderbett an. Warum einen Namen wählen für jemanden, der wahrscheinlich nicht einmal die Nacht überleben wird?
Doch er erwiderte schroff: »Dann nennen wir ihn Theodore. Theodore Thomas Finborough.« Isabels Vater hatte Thomas geheiÃen.
Nach der kurzen Taufzeremonie lieÃen sie ihn endlich zu seiner Frau. Isabel schlief. Ihr Gesicht war beinweiÃ. Sie sah alt und erschöpft aus, und es erschien ihm nur allzu wahrscheinlich, dass sie sterben würde. Während Richard an ihrem Bett saà und ihre Hand hielt, dachte er an all die Situationen, in denen er ihr ein besserer Ehemann hätte sein können: seine gelegentlichen Flirts â ohne Bedeutung natürlich â, obwohl sie es kaum ertrug, wenn er eine andere Frau auch nur ansah; sein Beharren darauf, dass sie ihn zu allen gesellschaftlichen Anlässen begleitete, obwohl sie diese so sehr verabscheute; sein elender Jähzorn, der so leicht aufstieg und ihn dazu verleitete, Dinge zu sagen, die er später bereute.
Er liebte nur Isabel, nur mit Isabel wollte er den Rest seines Lebens verbringen. Sie hatte ihn vom ersten Augenblick an fasziniert, als er sie da drauÃen am Ende der Mole von Lynmouth hatte stehen sehen. Und sie faszinierte ihn immer noch, er war verrückt nach ihr, völlig in ihren Bann geschlagen. Wäre er ihr nicht begegnet, wäre er weiter von einem Liebesabenteuer ins nächste gestolpert, immer auf die Befriedigung seiner Lust aus, ohne Gefühle, und wäre irgendwann innerlich ausgelaugt gewesen. Isabel hatte ihm ein Zuhause gegeben und eine Familie, einen festen Platz, eine Zukunft. Er wusste, dass seine Liebe zu ihr ihn zu einem besseren Menschen machte. Nimm sie mir nicht, betete er stumm, ich will auch nie wieder selbstsüchtig sein.
Seine Gebete schienen erhört zu werden, denn im Laufe der nächsten Woche erholten sich langsam sowohl Isabel als auch das Kind. Richards Erschrecken darüber, dass er und seine Familie verwundbar waren, aber blieb, auch wenn er zu niemandem davon sprach. Es dauerte einen Monat, bis Isabel und das Kind nach Hause durften, und noch länger, bis er die Abneigung gegen seinen jüngeren Sohn abzulegen begann. Langsam glich Theo immer weniger einem gehäuteten Kaninchen, auch wenn er klein, dünn und dunkelhaarig blieb.
Die Zeit verging, und wenn Richard seine beiden Söhne Philip und Theo zusammen sah, ï¬el ihm stets auf, wie sehr Philip mit dem feuerroten Haar und der kräftigen Gestalt seinen kleinen Bruder ausstach. Dennoch entwickelte er eine ungewöhnliche Zärtlichkeit für Theo, so, als müsste er den Mangel an Gefühl bei seiner Geburt wiedergutmachen. Er dachte an den Tag, an dem seine beiden Söhne ins Geschäft eintreten und mit ihm zusammen im Familienunternehmen arbeiten würden. Er hatte den Grundstein zu
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