Das Haus in den Wolken
einer Dynastie gelegt, die immer stärker und mächtiger werden würde.
Weihnachten verbrachten sie stets in Irland und die Sommer in Cornwall. Philips und Theos Schritte hallten in den verstaubten Räumen von Raheen House wider; und in den Ferien an der zerklüfteten Felsenküste Cornwalls mit ihren Fischerdörfern und den versteckten Höhlen hatten sie den Geruch von Salz und Grasnelken in der Nase. Für Richard und Isabel gab es heitere Tage voller Lachen und bittere Tage voller Streit und lauten Stimmen. Aber es gab immer auch die Nächte, in denen sie wieder Frieden schlossen, in denen ihre Körper, Haut an Haut, jener Liebe Ausdruck verliehen, für die sie nicht immer Worte fanden.
Isabel lernte, den groÃen Haushalt mit unaufdringlicher, ruhiger Hand zu führen, sodass er reibungslos lief, sie gab festliche Diners für Richards Freunde und Geschäftskollegen und zwanglose, intime Gesellschaften für die Freunde, die sie unter den Künstlern und Schriftstellern in Hampstead gefunden hatte. An schönen Sommerabenden versammelten sie sich bei ihr im Garten, und dann spielte jemand Gitarre, oder ein Dichter trug sein neuestes Gedicht vor. Richard nannte ihre Freunde nur »Isabels Bohemiens« und zog sie gern mit ihnen auf.
Die Jungen, der rothaarige, robuste Philip und der dunkelhaarige, ernsthafte Theo, balgten sich im Garten und tobten durch die Zimmer. Wurde Philip etwas verweigert, so antwortete er mit Wutanfällen, bei denen er brüllte und mit den FüÃen stampfte, dass die Wände wackelten. Isabel amüsierte sich dabei am meisten über Theos Gesicht. »Er sieht so ungläubig drein«, sagte sie zu Richard, »als könnte er nicht fassen, dass irgendwer freiwillig so viel Krach und Theater macht.« Hin und wieder spürte Isabel, wenn sie die beiden zusammen sah, einen solchen Stolz und eine solche Freude, dass sie den Moment am liebsten festgehalten hätte. Doch da hätte man ebenso gut versuchen können, Distelwolle zu fangen.
Der Krieg kam für sie beide überraschend. Richard machte sich seit einigen Jahren Sorgen über die Lage in Irland, vor allem seit die Unionisten ihre Muskeln spielen lieÃen und praktisch mit einem Bürgerkrieg drohten. Im Süden stiftete die republikanische Sinn-Fein-Partei Unruhe. In der irischen Politik kam es zu schnell zu Gewalt und Aufruhr, und Alice Finborough wohnte allein in ihrem abgelegenen, leeren Haus und hatte nur ihre Dienstboten um sich. Milizen â die Ulster Volunteers im Norden und die Irish Volunteers im Süden â wurden herangezogen und ausgebildet. Englische Soldaten verweigerten den Befehl und wollten ihre Waffen nicht gegen die eigenen Leute erheben. Dennoch lehnte Richards Mutter seinen Vorschlag ab, Raheen zu verlassen und für eine Weile nach England zu kommen. Als Richard ihren Brief las, verï¬uchte er ihren Starrsinn.
Ihre Besorgnis um Irland beschäftigte sie; deshalb, vermutete Isabel, traf der Konï¬ikt in Europa sie wohl so überraschend. Die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand, Thronfolger des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, in Sarajevo durch einen jungen serbischen Separatisten hatte Folgen, die keiner von ihnen voraussehen konnte. Europa mit seinen alten Feindschaften und Eifersüchteleien war ein Pulverfass, und der Attentäter Gavrilo Princip hatte die Lunte gezündet. Furcht, Nationalismus, Stolz und Opportunismus schürten die Flammen, und der Kontinent reagierte mit Säbelrasseln.
Richard glaubte trotzdem nicht, dass es Krieg geben würde. Es gebe keinen echten Grund für einen Krieg, erklärte er Isabel, keine Notwendigkeit. Alle Staaten seien aneinander gebunden, ob nun durch Handel oder durch Blutsbande. König Georg V. von England, Kaiser Wilhelm II. von Deutschland und Zar Nikolaus II. von Russland seien miteinander verwandt, verbunden durch ihre gemeinsame Vorfahrin Königin Viktoria. In ihren Briefen redeten sie einander liebevoll mit »Lieber Georg«, »Lieber Willy« und »Lieber Nicki« an. Warum also sollten sie sich gegenseitig töten wollen?
Dennoch wurden im warmen, ruhelosen August 1914 ganze Armeen in Eisenbahnwaggons geladen und an Landesgrenzen befördert. Und in den Hundstagen des Sommers ï¬elen die ersten Schüsse.
Warum meldete er sich freiwillig? Weil, so glaubte Richard, sein ganzes Leben ihn auf diesen Tag vorbereitet hatte: die Loyalität des
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