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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Giftgas freigesetzt.
    Der Ansturm begann. Richards Regiment war in den Reservegräben. Bald sahen sie die Verwundeten zurückkommen. Zuerst waren es Männer, die infolge eines beschädigten Kanisters oder eines plötzlichen Windstoßes in der falschen Richtung mit Gas vergiftet worden waren. Dann kamen die Verwundeten, die noch auf eigenen Füßen gehen konnten, hinkend oder Scharpie an die Köpfe gedrückt, und dann die Männer, die auf Tragen lagen. Sanitätswagen fuhren vorbei; manchmal winkten die Verwundeten von hinten oder riefen etwas. Einmal hörte Richard Gesang, der aus einem anderen Graben herübergetragen wurde, vertraute Ragtime- und Varietétheater-Melodien.
    Da glaubte man fest an einen bestimmten Ablauf der Ereignisse und musste dann entdecken, dass man sich gründlich geirrt hatte. Auch wenn sie vor Langem schon die optimistische Zuversicht der frühen Kriegstage verloren hatten, hielten sie doch immer noch an der Überzeugung fest, dass Großbritannien am Ende den Sieg davontragen würde. Loos lehrte sie, dass sie sich, zumindest in diesem Fall, geirrt hatten. Die deutschen Truppen waren besser vorbereitet, besser gerüstet und besser bewaffnet. Die britischen Soldaten stürmten über den Wall und wurden von deutschen Maschinengewehren niedergemäht.
    Als Richard seine Männer um sich versammeln wollte, nachdem er einen Bombenkrater im Niemandsland eingenommen hatte, entdeckte er, dass die meisten von ihnen tot waren. Von den noch Lebenden waren viele verwundet. Allein er und Nicholas Chance sowie vielleicht zwei Dutzend gemeine Soldaten hatten die Schlacht von Loos unversehrt überlebt.
    Ihm blieb danach ein tiefer, anhaltender Zorn und ein ganz neues Misstrauen gegen die Männer, die für die Kriegsführung, die Strategie und die Rüstung verantwortlich waren. Richard hatte immer an die Klugheit und Kompetenz seiner Vorgesetzten geglaubt, doch dieser Glaube war nach dem, was er in Loos erlebt hatte, restlos zerstört. Jetzt zweifelte er an allem – manchmal auch an der Existenz Gottes.
    Er sprach mit niemandem über seine Ernüchterung, als er Weihnachten zu Hause war. In seinen Briefen an Isabel hatte er einen Code eingeführt, verschiedene kurze Redewendungen, die ihr verrieten, an welchem der Kriegsschauplätze er sich befand und ob er an der Front war oder in der Etappe. Diese innere Leere jedoch, dieser tief sitzende Zorn waren nicht so leicht mitzuteilen. Manches berichtete er ihr, vieles behielt er für sich. Er erzählte ihr von den Ratten und Läusen, aber nicht von den Katzen, die sich zwischen den Leichnamen niederließen. Er erzählte ihr von der Erschöpfung und der Angst, aber nicht von dem vom Körper abgetrennten Bein, das aus dem Parapett herausragte und von einem seiner Männer mit Vorliebe zum Aufhängen seines Stahlhelms benutzt wurde. Er wusste jetzt, dass es Anblicke, Geräusche und Gerüche gab, die einen nicht mehr losließen und für immer das Bild zerstörten, das man sich einst von der Welt gemacht hatte. Er konnte keinen Sinn darin sehen, Isabel seine Erfahrungen von Leiden und Grausamkeit mitzuteilen. Es wäre nicht anders, als infizierte er sie absichtlich mit einer schmerzhaften, zerstörerischen Krankheit.
    Er verbrachte den größten Teil seines Urlaubs zu Hause, ohne Interesse an den hektischen Festen und Vergnügungen, mit denen man in London den Krieg zu leugnen versuchte. Er ging mit den Jungen zum Ballspielen in den Park und freute sich an Saras Faszination über die strahlenden Kugeln am Weihnachtsbaum. In die City fuhr er nur, um nach der Fabrik und der Knopfmacherei zu sehen, die er beide John Temples fähiger Führung anvertraut hatte.
    Der Krieg brachte Schwierigkeiten, aber er eröffnete auch neue Möglichkeiten. Die für die Firma Finborough bestimmten Teekisten landeten mit unerfreulicher Regelmäßigkeit auf dem Meeresgrund, versenkt von deutschen Kanonen- und U -Booten. Die Knopfmacherei andererseits machte mit der Herstellung von Uniformknöpfen und Rangabzeichen beste Geschäfte.
    Anfang Januar musste Richard nach Frankreich zurück. Es war ein kalter, feuchter Winter, und die Gräben und Unterstände füllten sich mit Schlamm. Regen verwässerte den Tee der Soldaten, und was sie aßen, schmeckte schlammig. Sie froren in ständig durchnässten Kleidern beim Essen, bei der Arbeit und wenn sie

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