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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Gedanken überfielen sie nachts, wenn niemand da war und sie sich so allein und verlassen fühlte wie nie zuvor. Als jüngstes von drei Kindern fiel es ihr nicht leicht, allein zu sein. Sie hatte immer Menschen um sich gehabt, war an Zuneigung und Liebe gewöhnt. Sie wusste nicht, was sie tun, wohin sie sich wenden sollte, und fühlte sich völlig orientierungslos.
    Zu vieles hatte sich zu schnell geändert. Sie sah ihre Eltern plötzlich in einem anderen Licht. Sie war ihrer Mutter immer nahe gewesen, aber ihre Mutter hatte nicht verstehen können, wie wichtig ihr Anton war. Die schützende Fürsorge ihres Vaters war zum Gefängnis geworden, dessen Mauern sie von dem Menschen trennten, nach dem sie sich sehnte. Sie konnte sich nicht vorstellen, so weiterzuleben wie vor ihrer Begegnung mit Anton. Die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Klasse und die Bevormundung der Frauen, die sie lange Zeit beinahe fraglos akzeptiert hatte, erschienen ihr jetzt unzumutbar und überholt. Die Liebe zu Anton hatte sie verändert, und jetzt stand etwas in ihr dagegen auf, in kindlicher Abhängigkeit gehalten zu werden.
    Nach außen ließ sie sich nichts anmerken. Als der erste Schock nachgelassen hatte, begegnete sie den Fragen und der Besorgnis ihrer Großmutter, indem sie so tat, als wäre sie wieder die Alte. Sie ritt aus, sie half im Haus, sie besuchte Gesellschaften und festliche Abendessen bei Alice Finboroughs exzentrischen Freunden. Sie sorgte dafür, dass keiner auch nur ahnen konnte, wie es in ihrem Inneren aussah. Die Wochen in Irland wurden zu Monaten, und als der Winter kam, war sie immer noch in Raheen.

    Freddie McCrory, Richards alter Schulfreund, war seit mehr als zwanzig Jahren auch sein Börsenmakler. In den Jahrzehnten ihrer Bekanntschaft hatte sich Freddies Erscheinung verändert. Er hatte an der Somme einen Arm verloren und trug den leeren Ärmel seines teuren Maßanzugs hochgesteckt. Von seinem sandblonden Haar war nur noch ein schmaler grauer Streifen am Hinterkopf übrig, sein Gesicht war schwammiger geworden, seine Mitte rundlicher. Aber in seinen Augen glomm immer noch dann und wann dieser Funke des Enthusiasmus auf, den Richard von früher kannte.
    So auch an diesem Tag, als sie sich zum Mittagessen in Richards Klub in St. James’s getroffen hatten. Freddie senkte die Stimme und sagte: »Provost ist in Schwierigkeiten.«
    Â»Was? Die Maschinenwerke? Das ist doch ein gesundes Unternehmen.«
    Â»Der wirtschaftliche Rückgang hat ihnen zugesetzt – zu hohe Schulden, und der alte Provost will die Leitung partout nicht abgeben.« Freddie schwenkte den Scotch in seinem Glas hin und her. Ȇberleg es dir, Finborough. Wenn’s wieder Krieg gibt, ist mit einer gewaltigen Nachfrage auf dem Sektor zu rechnen.«
    Â»Wie stehen die Aktien?«
    Â»Fallen schon seit geraumer Zeit. Ich könnte mir vorstellen, dass die Aktionäre langsam kalte Füße bekommen. Wenn du willst, höre ich mich mal um und sehe, was im Angebot ist.«
    Als sie aus dem Hotel traten, schlug Freddie vor, sich zusammen ein Taxi zu ihren jeweiligen Büros zu nehmen, aber Richard schützte einen geschäftlichen Termin vor und lehnte ab. Er verabschiedete sich von Freddie und ging zu Fuß Richtung Piccadilly. Die frische Luft tat gut nach dem Qualm in der Bar, und beim Gehen dachte er mit einer gewissen angenehmen Erregung über Freddies Vorschlag nach. Er spielte schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, sein Unternehmen zu erweitern, und hatte in der Hoffnung auf eine günstige Gelegenheit, eine neue Herausforderung seine Augen offen gehalten. Ein Einstieg in den Maschinenbau wäre sicher profitabel, wenn tatsächlich ein neuer Krieg bevorstand. Die Nachfrage nach Motorgehäusen und Kolbenstangen würde drastisch in die Höhe schnellen, dachte Richard, wenn genügend Leute an einen neuen Krieg glaubten . Und die Firma Provost war durchaus angreifbar. Cecil Provost würde zwar mit allen Mitteln um den Erhalt der Familienfirma kämpfen, aber wenn es gelang, Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu streuen, würden sich die Aktionäre vielleicht zum Verkauf verleiten lassen.
    Als er die Jermyn Street hinunterging, begann es zu regnen, und er spannte seinen Schirm auf. Das letzte Mal, als er am Piccadilly gewesen war, vor ein paar Tagen erst, hatte es auch geregnet, geschüttet, genauer gesagt. Er

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