Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Tatsache, dass man nicht immer die Möglichkeit hat, sich ausschließlich danach zu richten. Abgesehen davon hat sich schon so manche arrangierte Ehe am Ende als Glücksfall in jeglicher Hinsicht für beide Partner herausgestellt.»
«Das mag sein.» Er deutete auf die Sitzgruppe und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Dann wählte er den Sessel ihr gegenüber und ließ sich darauf nieder. «Aber was würden Sie einem Mann raten, der zwischen einer guten Partie und einer des Herzens zu wählen hat? Insbesondere wenn letztere für ihn keinerlei materiellen Zugewinn bedeuten würde, erstere jedoch sehr wohl?»
Paulines Wangen röteten sich noch mehr. Der Anblick der heftig pochenden Ader an ihrem Hals ließ sein eigenes Blut schneller durch seinen Körper kreisen. Er war sich sicher, dass sie verstanden hatte, was er von ihr wissen wollte, und bewunderte sie für ihre Selbstbeherrschung, als sie den Kopf hob und ihn direkt ansah.
«Das …» Sie musste nun doch sichtlich mit ihrer Fassung kämpfen. «Das hängt immer von den äußeren Umständen ab, würde ich sagen. Wenn diese den … Mann in Ihrem Beispiel dazu zwingen würden, sich für die gute Partie zu entscheiden, muss das nicht bedeuten, dass er deshalb unglücklich würde. Insbesondere dann nicht, wenn er weiß, dass er sich und seiner Familie, vielleicht auch seinem Geschäft, einen guten Dienst erweist.»
«Aber was», Julius musterte sie eingehend, «würde das für die Dame seines Herzens bedeuten?»
Paulines Hände verkrampften sich in ihrem Schoß. «Ich weiß nicht … Das hängt wohl davon ab, ob sie seine Zuneigung überhaupt erwidert.»
Julius beugte sich ein wenig vor. «Tut sie es?»
Ruckartig drehte Pauline den Kopf zu ihm. Der Schreck, der sich auf ihrem Gesicht abzeichnete, reizte ihn zum Lächeln. Bevor sie etwas sagen konnte, hob er beschwichtigend die Hand. «Lassen Sie mich die Frage anders formulieren: Angenommen, die betreffende Dame wäre ebenfalls nicht vollkommen abgeneigt – wie sollte der Mann in diesem Falle verfahren?»
Pauline schluckte einmal, dann ein zweites Mal. Sie atmete tief ein und antwortete: «Das hängt wiederum von den äußeren Umständen ab, würde ich sagen. Eine allgemeingültige Antwort kann es darauf nicht geben.»
«Vielleicht nicht.» Julius nickte ihr zu. «Deshalb möchte ich das Beispiel gerne noch ein wenig mehr eingrenzen. Nehmen wir an, jener Mann steht vor der bereits genannten Entscheidung. Die Dame mit der großen Mitgift würde all seine Probleme auf einen Schlag lösen. Die Dame seines Herzens hingegen würde ihm keinerlei finanzielle Vorteile verschaffen. Jedoch wäre sie, was ihre Veranlagung und Herzensbildung angeht, die bei weitem passendere Partnerin für ihn. Auch ist anzunehmen, dass sie, wie gesagt, nicht ganz abgeneigt wäre. Es gibt jedoch ein nicht zu unterschätzendes Problem, das wir in dieser Sache ebenfalls nicht außer Acht lassen können.»
Pauline blickte erstaunt auf. «Und das wäre?»
Julius lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. «Die Dame in unserem Beispiel hat in der Vergangenheit einige, sagen wir mal sehr unschöne Dinge erlebt, die den Mann daran zweifeln lassen, ob sie ihn nehmen würde, selbst wenn es keine widrigen äußeren Umstände gäbe.» Gespannt sah er sie an.
Paulines Augen weiteten sich. «Wie kommen Sie denn darauf?», rief sie so sichtlich verblüfft, dass sein Herz einen erfreuten Satz machte. Dann schien sie jedoch zu erkennen, dass sie zu viel von sich preisgegeben hatte, denn die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich, und sie stand auf, ging zu einem der Bücherregale und heftete ihren Blick auf die Buchrücken.
Julius ließ ihr Zeit, sich wieder zu sammeln. Er brauchte selbst einen Augenblick, um die Botschaft, die ungewollt in Paulines Reaktion mitgeschwungen hatte, zu verarbeiten. Als sie sich schließlich wieder zu ihm umdrehte, wartete er ungeduldig auf ihre nächsten Worte.
Sie blickte in seine Richtung, mied aber Augenkontakt, sondern fixierte einen Punkt irgendwo hinter ihm. «Ich finde, wir sollten diese fruchtlose Unterhaltung nun beenden, Herr Reuther. Sie ändert nichts an der Lage der Dinge. Also sollten wir selbige nicht für alle Beteiligten noch schlimmer machen, indem wir sinnlose Hypothesen aufstellen.»
Julius erhob sich ebenfalls. «Für so sinnlos halte ich diese Hypothesen nicht, Fräulein Schmitz, wenn sie dazu verhelfen, die gegebene Situation richtig
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