Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
«Ich denke, es ist jetzt wirklich Zeit für dich zu schlafen.»
«Ja, Fräulein Schmitz.» Ricarda kuschelte sich unter die Decke. Dann drehte sie sich auf die Seite und schob sich eine Hand unter die Wange und gähnte. «Gute Nacht.»
«Gute Nacht, mein Schatz.» Pauline gab ihr einen Kuss auf die Stirn und löschte auch hier das Licht. Sie ging nicht sofort nach unten. Bevor sie Julius gegenübertreten konnte, musste sie sich erst sammeln.
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Kapitel 23
Nervös ging Julius in der Bibliothek auf und ab. Er wusste, was er vorhatte, war unvernünftig. Schlimmer noch, er würde vielleicht alles verlieren. Und mit alles war nicht sein Vermögen gemeint. Aber er konnte auch alles gewinnen. Gleich, wie dieser Abend ausgehen würde, eine Entscheidung würde gefällt werden. Aufschieben konnte er sie nicht, denn er hatte Friedrich Oppenheim eine Zusage gemacht, die er würde einhalten müssen – auf die eine oder andere Weise. Dummerweise hatte er keine Ahnung, wie er das Gespräch, zu dem er Pauline aufgefordert hatte, beginnen sollte. Hundert Möglichkeiten wirbelten durch seinen Kopf, aber nicht eine davon erschien ihm passend zu sein.
Er blieb am Fenster stehen und blickte in die Dunkelheit hinaus. Bei Paulines Einstellung hatte er sich einen ach so guten Plan zurechtgelegt. Doch jetzt war die Situation derart verfahren, dass er nicht mehr ein noch aus wusste. Er war ein Mann, der stets erwartete, dass sich alles nach seinen Wünschen richtete. Wenn dies nicht sofort geschah, fand er Mittel und Wege, dem Schicksal nachzuhelfen. Manchmal schoss er dabei übers Ziel hinaus. Er kannte sich selbst nur zu gut und wusste, dass er eine Frau an seiner Seite brauchte, die ihn verstand und ihn, falls nötig, auf seine Fehler hinwies. Eine Frau, die stark genug war, es mit ihm auszuhalten. Nach Valentinas Tod hatte er sich aus der Gesellschaft zurückgezogen, sich den Anschein eines vergrämten und unfreundlichen Mannes gegeben. Auf diese Weise hielt er sich die Frauen vom Hals – nicht, weil er etwas gegen Frauen hatte, sondern weil er entschlossen war, sich niemals mehr wegen eines geschäftlichen Vorteils an eine Frau zu binden, an der ihm nichts lag. Damals schien es ihm, als sei die Ehe mit Valentina genau das, was er brauchte. Heute wusste er, dass er einen großen Fehler begangen hatte.
Schon immer war Julius ein Mensch gewesen, der sich mehr von seinem Herzen leiten ließ als von Materiellem. Natürlich war dies keine passende Eigenschaft für einen Geschäftsmann, deshalb unterdrückte er sie zumeist. Doch er war überzeugt, dass manche Entscheidungen nicht allein vom Verstand abhängig gemacht werden durften, wenn man sich nicht zeit seines Lebens selbst betrügen und unglücklich machen wollte.
Genau dies drohte ihm nun. Er musste Klarheit schaffen, um diese Gefahr entweder abzuwenden oder sich ganz bewusst gegen sein Herz zu entscheiden.
Er zuckte zusammen, als er das leise Klopfen an der Tür vernahm, und atmete noch einmal tief durch. «Kommen Sie herein.»
Als Pauline die Bibliothek betrat, verschlug es ihm – wie so oft, wenn er sie sah – für einen Moment die Sprache. Sie sah trotz der späten Stunde in ihrem hübschen, dunkelbraunen Kleid aus wie der junge Frühlingsmorgen. Sie wirkte ein wenig blass, vielleicht weil sie eine Konfrontation fürchtete. Ihre Miene war gefasst und ernst, ihr Blick herausfordernd auf ihn gerichtet.
«Sie haben uns belauscht!», begann sie, noch bevor er das Wort an sie richten konnte. «Das ist sehr unhöflich, wie ich Ihnen schon einmal gesagt habe.»
Froh, dass sie gleich auf das richtige Thema gekommen war, lächelte er und trat auf sie zu. «Und Sie haben die Frage meiner Tochter nicht beantwortet, Fräulein Schmitz. Das ist ebenfalls nicht die feine Art, oder?» Als er sah, wie sie errötete, ging er noch zwei Schritte in ihre Richtung, blieb dann aber stehen, um ihr zu zeigen, dass er nicht vorhatte, sie zu bedrängen. «Vielleicht möchten Sie stattdessen mir erklären, welche Eigenschaften Ihrer Meinung nach zu einer Ehe gehören. Soweit ich mich erinnere, haben Sie nämlich einmal gesagt, dass es sich dabei um eine Herzensfrage handelt.»
Pauline wich seinem Blick aus. «Ich habe gesagt, dass gegenseitige Zuneigung wünschenswert ist, wenn es um die Entscheidung für einen Ehepartner geht», antwortete sie. Er hatte den Eindruck, dass ihre Stimme leicht schwankte, konnte sich aber auch irren. «Doch es ist auch eine unumstrittene
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