Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
interessiert nach.
«Nichts. Nicht viel», verbesserte Pauline sich verlegen. «Es geht mich auch nichts an. Ich habe ihm und den Kindern eine Nachricht hinterlassen.»
Annette zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. «Und Sie glauben, er wird das so einfach hinnehmen und Ihnen nicht nachfahren?»
«Er wird meinen Entschluss respektieren», antwortete Pauline. «Ich gehe davon aus, dass Sie das ebenfalls tun.»
«Sie lieben ihn.» Annette berührte Pauline leicht am Arm. «Sind Sie sicher, dass Sie das Richtige tun?»
Pauline senkte den Blick. «Es ist das Beste für alle Beteiligten. Julius darf wegen mir nicht alles aufs Spiel setzen. Er muss auch an seine Kinder denken und …» Sie stockte. «Es ist das Vernünftigste, was ich tun kann.»
«Sie würden sich also nicht umstimmen lassen?»
«Nein.» Pauline schüttelte den Kopf. «Nicht in dieser Situation.»
«Also gut.» Annette zog ihre Hand zurück und bedeutete Pauline, ihr ins Wohnzimmer zu folgen. «Ich weiß es zu schätzen, dass Sie offenbar eine Frau mit Verstand sind.»
«Danke.»
Annette warf der jungen Frau einen kurzen Blick zu. «Ich sage nicht, dass mir die ganze Sache gefällt.»
«Natürlich nicht.»
«Aber», fuhr sie fort, «ich respektiere Ihre Entscheidung und rechne sie Ihnen hoch an.» Sie deutete auf einen Sessel. «Setzen Sie sich. Ich lasse Tee für uns machen.»
***
Es war bereits früher Nachmittag, als Julius sich endlich von seinen Verpflichtungen in der Fabrik loseisen konnte. Erst hatte sein Anwalt ihm den neuesten Stand bezüglich der Grenzstreitigkeiten mit Lungenberg mitgeteilt. Wenigstens in dieser Hinsicht schien sich ein Erfolg für ihn abzuzeichnen. Die Besitzurkunden waren echt und die Angaben darin korrekt. Weshalb der Ziegeleibesitzer ihm eine Manipulation der Grenzsteine vorwarf, war allerdings nicht geklärt. Da sich Lungenberg nicht in der Stadt aufhielt, musste diese Sache noch eine Weile warten.
In Nippes hatten hingegen weniger angenehme Nachrichten auf Julius gewartet. Mit der Morgenpost waren zwei schriftliche Forderungen von Woll- und Flachs-Lieferanten eingegangen, die nun ebenfalls auf sofortige Zahlung der Außenstände drängten. Die Gerüchte über seine Krise zogen also bereits breite Kreise. Julius wunderte sich, dass er noch nicht öffentlich darauf angesprochen worden war. Hinter seinem Rücken gärte es. Da sich sein Verdacht, dass jemand hinter der ganzen Misere steckte und die Fäden zog, erhärtete, hatte Julius versucht, einen Termin bei dem Bankier Schnitzler zu erhalten. Leider hielt sich dieser momentan nicht in der Stadt auf, und auch sein Sohn, so teilte man Julius mit, sei auf dem Weg in einen Kurort, um mit seiner frisch Angetrauten ein paar Tage Urlaub zu machen.
Ganz ungelegen kam Julius die Verzögerung nicht, denn nach der vergangenen Nacht verspürte er das dringende Bedürfnis, mit Pauline über die neuen Umstände zu sprechen. Wie er sie kannte, würde sie sich gegen die von ihm erwogenen Konsequenzen sträuben, doch in diesem Fall würde er keine Einwände gelten lassen.
Als er das Haus in der Löwengasse betrat, schallten ihm die Stimmen seiner Kinder entgegen. Die beiden stritten sich heftig.
«Du blöde Ziege», schrie Peter. «Ich kann doch nichts dafür! Ich hab überhaupt nichts gemacht.»
«Hast du wohl!», keifte Ricarda. «Du hast immer so blöde Sachen zu ihr gesagt. Jetzt kann sie uns nicht mehr leiden.»
«Ist ja nicht wahr.»
«Ist es doch!»
«Nein!»
Julius ging auf die beiden Streithähne zu. «Was ist denn hier los? Warum streitet ihr schon wieder? Wo ist Fräulein Schmitz?»
Beide Kinder fuhren zu ihm herum. Ricarda starrte ihn zornig an. «Weg!»
Julius sah sie verwirrt an. «Was soll das heißen? Ist sie ausgegangen?»
«Nein, sie ist weg.» Peter blickte nun auch wütend zu ihm hoch.
«Sie ist heute Morgen gegangen», fügte Ricarda mit zitternder Stimme hinzu. Tränen stiegen ihr in die Augen. «Was hast du mit ihr gemacht, Papa? Warum ist sie einfach gegangen? Sie hat versprochen, für immer bei uns zu bleiben!»
Julius fuhr sich perplex mit den Fingern durchs Haar. «Ich habe gar nichts mit ihr …» Er brach ab, da er genau wusste, dass das, was er hatte sagen wollen, nicht stimmte. «Wann hat sie das Haus verlassen?»
«Heute Morgen um kurz nach acht», erklärte Jakob, der in die Diele gekommen war und Julius den Mantel abnehmen wollte.
Dieser wimmelte ihn mit einer ungehaltenen Handbewegung ab. «Und du hast sie einfach so
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