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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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bekräftigend. «Seither lebt Reuther sehr zurückgezogen. Man sieht ihn zwar hin und wieder bei gesellschaftlichen Ereignissen – eingeladen werden muss er auf jeden Fall. Aber niemand legt großen Wert darauf, vertrauten Umgang mit ihm zu pflegen. Nicht einmal die Angestellten hielten es mehr bei ihm aus. Bis auf eine Handvoll Dienstboten sind sie ihm alle davongelaufen. Deshalb hat er wohl auch weder Hauslehrer noch Kindermädchen für seine beiden Sprösslinge. Sie sind völlig sich selbst überlassen und wachsen auf wie kleine Wilde. Das kann nicht gutgehen, sage ich dir, Pauline. Das wird sich eines Tages bitter rächen. Aber nun geh und kümmere dich um die Vorbereitungen für die Feier. Wir haben nur zehn Tage Zeit. Ich werde die Einladungen heute Abend schreiben, dann kannst du sie morgen mit Heiner zusammen austragen.»
    ***
    Am späten Nachmittag des folgenden Tages hatten Pauline und Heiner alle Einladungen für Ännes Geburtstagsfeier verteilt bis auf eine. Nun waren sie bei Reuthers Haus in der Löwengasse angekommen, das im schwindenden Tageslicht hinter der mannshohen Mauer mit dem schmiedeeisernen Tor sehr düster wirkte. Selbst die Lichter hinter einigen der Fenster wirkten nicht anheimelnd. Pauline versuchte zu ergründen, warum das schöne Haus einen so finsteren Eindruck machte. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass es keinerlei Blumen auf dem Grundstück gab. Zwar war der Herbst bereits weit fortgeschritten, doch nicht einmal zurückgeschnittene Rosenbüsche oder dergleichen waren zu erkennen. Eine Rasenfläche bedeckte das gesamte Grundstück, die von akkurat geschnittenen Büschen umrandet wurde. Nicht einmal die unschuldigen Gänseblümchen würden es wagen, hier ihren Kopf aus dem Boden zu strecken. Das einzige Anzeichen von Gastfreundschaft war das offene Tor. Pauline ging zur Eingangstür, während Heiner an der Straße wartete.
    Bevor sie anklopfen konnte, flog die Tür auf, und zwei Männer kamen heraus. Pauline ging erschrocken einen Schritt zurück. Einer der Herren war Reuther, der andere der Arzt Dr. Pfaffenholz.
    «Gehen Sie, ich will davon nichts mehr hören», wetterte Reuther und wies mit der Hand zur Straße. «Sie wissen genau, was ich von diesem Teufelszeug halte. Es kommt mir nicht ins Haus, das ist mein letztes Wort. Und wenn der Junge noch solche Schmerzen hat.»
    «Nun seien Sie doch vernünftig, Herr Reuther. Eine kleine Dosis wird dem Kind nicht schaden», versuchte der Arzt den aufgebrachten Mann zu beruhigen. «Solche Krankheiten sind äußerst unangenehm und zuweilen auch schmerzhaft. Sie wollen doch nicht, dass das Kind über Gebühr leidet.»
    «Es gibt auch andere Mittel, oder nicht?»
    «Gewiss, aber sie sind bei weitem nicht so effektiv wie …»
    «Verschreiben Sie ihm etwas anderes, oder gehen Sie.»
    «Geben Sie ihm Weidenrindentee. Aber ich sage Ihnen, mit etwas …»
    «Ich will nichts mehr davon hören.» Reuther war kurz davor zu explodieren. Abrupt drehte er sich um und ging mit großen Schritten zurück ins Haus. Bevor er die Tür schloss, schien ihm aufzufallen, dass außer dem Arzt noch jemand vor seiner Tür stand. Erstaunt musterte er Pauline. «Was wollen Sie denn hier?»
    Pauline zog bei seinem barschen Tonfall den Kopf ein, wunderte sich gleichzeitig, dass er sie mit dem förmlichen Sie ansprach. «Entschuldigen Sie, gnädiger Herr, wenn ich störe. Ich habe eine Einladung für Sie von …»
    «Kommen Sie herein», brummte er unfreundlich. «Sie nicht, Pfaffenholz.» Er warf dem Arzt einen wütenden Blick zu. «Von Ihrer Medizin habe ich ein für alle Mal genug.»
    Pauline trat unsicher in die Eingangshalle, hinter ihr schloss Reuther leise, aber bestimmt die Tür.
    «Entschuldigen Sie, Herr Reuther», wiederholte sie. «Ich will Sie wirklich nicht stören. Frau Stein bat mich, Ihnen diese Einladung zu übergeben. Fräulein Änne feiert am dreiundzwanzigsten November Geburtstag, und dazu sind Sie und Ihre beiden Kinder herzlich eingeladen.»
    «Geburtstag, wie?» Reuther verdrehte kurz die Augen, nahm Pauline die Einladung aus der Hand und schob sie unbesehen in seine Anzugtasche. «Ist das alles?»
    «Ja, gnädiger Herr.» Sie hielt inne. «Ist eines Ihrer Kinder krank, Herr Reuther?»
    Zwischen Julius’ Augen bildete sich eine steile Falte. «Peter», antwortete er. «Der Junge hatte gestern nichts Besseres zu tun, als drüben beim Mühlenbach herumzuklettern. Natürlich ist er hineingefallen. Dort, wo das Wasser gestaut worden ist. Er hat

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