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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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würde er jedoch bald anfangen müssen, wenn er seine Pläne im kommenden Jahr in die Tat umsetzen wollte. Obendrein glich sein Haushalt derzeit noch mehr einem Narrenhaus als sonst, denn seine Mutter hatte beschlossen, sich als Krankenschwester für Peter zu betätigen. Leider war Annette Reuther alles andere als geeignet für diese Aufgabe. Sie war zu ungeduldig und nervös, als dass sie dem armen Jungen Erleichterung bringen konnte.
    Julius sah jeden Morgen und jeden Abend nach Peter, der sich allmählich erholte, doch wusste er noch weniger als seine Mutter, wie man mit einem kranken Kind umging. Er selbst war in seinem gesamten Leben keinen Tag krank gewesen. Die gute Konstitution hatte er von seinem Vater geerbt, der von ähnlicher Vitalität gewesen war, bis er bei jenem tragischen Schiffsunfall vor acht Jahren ums Leben gekommen war. Außerdem bewegte sich Julius viel an der frischen Luft und übte sich, wann immer es seine Zeit zuließ, in der Fechtkunst.
    Er warf einen Blick auf die große Standuhr neben der Tür. Es war schon kurz nach zwei. Er würde seinen Arbeitern unten im Hof Beine machen müssen, damit der Wolltransport rechtzeitig ankam. Und dann wollte er mit seinem Vorarbeiter reden. Sie hatten begonnen, erste Leinenstoffe zu produzieren, aber die Qualität stimmte noch nicht. Vermutlich mussten die Weberinnen weiter geschult werden.
    Mit diesen Gedanken im Hinterkopf machte er sich auf den Weg hinab in den Hof.
    ***
    «Elfie, würdest du bitte ein Auge auf die Mädchen haben? Sie möchten gerne Blindekuh spielen.» Pauline eilte mit einem Tablett voller Kuchen in den Salon. Eine Teegesellschaft war schon anstrengend – eine Geburtstagsfeier für eine Zehnjährige die reinste Folter. Frau Stein flatterte wie eine Henne hin und her, befahl dies, verlangte jenes, nur damit der kleinen Änne auch ja all ihre Wünsche erfüllt wurden.
    Elfies Seufzen sprach ihr aus der Seele. So wohlerzogen sie vielleicht auch sein mochten – eine Ansammlung von acht kleinen, verwöhnten Mädchen strapazierte die Nerven über alle Maßen. Pauline stellte das Tablett auf dem Tisch ab und teilte den Kuchen aus. Die Damen genossen das Kaffeekränzchen und kümmerten sich nicht weiter um ihre Sprösslinge.
    Aus den Augenwinkeln nahm Pauline eine Bewegung bei den Vorhängen wahr. Der kleine Hans Stein krabbelte dort auf dem Boden herum und schien auf der Suche nach einem seiner Spielzeuge zu sein. Vermutlich einer Murmel, die beim Spiel über das Ziel hinausgekullert war. Rasch ging sie zu ihm.
    «Hans, steh bitte auf. Es gehört sich nicht, im Salon auf allen vieren herumzurutschen. Geh bitte hinaus, wenn du mit Murmeln spielen willst.» Sie hatte leise, aber bestimmt gesprochen, und Hans stand auch sofort auf.
    «Ich hab sie schon», sagte er und hielt ihr eine schöne große Glasmurmel hin. «Peter hat sie zu weit geschossen.»
    «Geschossen?» Verwundert blickte Pauline auf den blonden Siebenjährigen hinab. «Seit wann schießt man denn mit Murmeln?»
    Hans lächelte engelhaft. «Wir haben sie als Kanonenfutter benutzt. Papa hat mir doch die Preußenkanone geschenkt. Mit den großen Zinnsoldaten. Andere haben nur so kleine Figürchen, aber meine sind richtig groß. Und die Kanone geht wirklich. Guck, wie weit sie geschossen hat.» Da die Stimme des Jungen vor Begeisterung immer lauter geworden war, warfen einige der Damen ihnen bereits Blicke unter hochgezogenen Augenbrauen zu. Pauline führte Hans rasch aus dem Salon. Als sie durch die Tür waren, sagte sie: «Ich schlage vor, ihr spielt jetzt etwas anderes. Murmeln sind kein Kanonenfutter. Stell dir vor, ihr hättet eine der Damen getroffen! Oder Änne und ihre Freundinnen. Wartet lieber bis zum Frühling, dann könnt ihr draußen im Garten deine Kanone abfeuern.»
    «Ja, Pauline.» Hans nickte pflichtschuldig.
    Pauline ließ ihn los, und Hans rannte die Treppe ins oberste Stockwerk hinauf. Dorthin hatte sich offenbar Peter verkrümelt, nachdem sein Geschoss quer durch den Salon geflogen war. Von oben hörte sie aufgeregtes Geflüster. Schmunzelnd ging sie in den Salon zurück, um zu sehen, ob eine der Damen etwas wünschte oder ob Elfie beim Blindekuh-Spiel der Mädchen Hilfe benötigte. Für eine Weile vergaß sie die Jungen, doch nachdem die zwei inzwischen eine ungewöhnlich lange Zeit verschwunden waren, wurde sie misstrauisch. Bei nächster Gelegenheit begab sie sich auf die Suche nach den beiden. In Hans’ Zimmer hielten sie sich nicht mehr auf. Nach

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