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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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Weihnachtslieder vortragen. Ich kann sie gerne auf dem Pianoforte begleiten.»
    «O nein, bitte lassen Sie mich das machen», rief Frieda. «Ich spiele so gerne auf dem Pianoforte. Es wäre mir eine Ehre, das Fräulein Ricarda bei ihrem Gesang zu begleiten, Fräulein Schmitz.»
    «Nun …» Pauline warf Julius einen fragenden Blick zu, doch er zog nur kurz die Augenbrauen hoch, was alles und nichts bedeuten konnte. Sie lächelte Frieda zu. «Also gut, wie Sie wünschen. Dann würde ich vorschlagen, wir begeben uns in den Salon, wo wir auch den Kaffee einnehmen können. Die Herren möchten bestimmt lieber in die Bibliothek gehen, nicht wahr?»
    «Aber nein», widersprach Julius unerwartet. «Diese musikalische Darbietung möchten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen!»
    Pauline versuchte aus seinem Tonfall herauszuhören, ob er sich lustig machte, doch es schien ihm ernst zu sein. Vielleicht hatte der gemeinsame Nachmittag mit den Kindern tatsächlich sein Interesse an ihnen geweckt.
    Also begab sich die Gesellschaft in den großen Salon, wo es zwei bequeme Kanapees und mehrere Sessel gab, die um einen ovalen Tisch aus dunkel gestrichenem Kirschbaumholz mit Marmorplatte gruppiert waren. An den Wänden hingen kunstvolle Stillleben und Landschaftsmalereien. In den Schränken und Buffets war das gute Geschirr untergebracht, das man durch zum Teil verglaste Türen bewundern konnte.
    Es gab im Hause Reuther kein separates Musikzimmer; der kleine Flügel stand vor einem der Fenster, sodass tagsüber das Licht auf den Notenständer fallen konnte. Heute Abend brannten stattdessen mehrere Lichter in dem kleinen Leuchter über dem Instrument.
    Frieda steuerte auf den Flügel zu, als sei sie hier zu Hause, setzte sich und blickte Pauline erwartungsvoll an. «Welches Lied möchte uns die kleine Künstlerin denn gerne vortragen? Wie wäre es mit Es ist ein Ros’ entsprungen ? Das kennt sie doch bestimmt?»
    Pauline nickte und führte Ricarda zum Pianoforte. Aus der kleinen Kommode, in der die Noten aufbewahrt wurden, holte sie die entsprechenden Blätter hervor. Während sie sie Frieda reichte, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass Ricarda ein wenig ängstlich in die Runde blickte. Rasch ging sie zu ihr. «Bist du bereit? Sing einfach nur die ersten beiden Strophen. Die haben wir ja gestern noch geübt.»
    «Warum spielen Sie nicht am Flügel?», wisperte Ricarda, einen deutlichen Vorwurf in der Stimme.
    Pauline lächelte ihr ermutigend zu. «Fräulein Frieda spielt gewiss ganz entzückend. Es wäre unhöflich, ihr Angebot abzulehnen. Ich setze mich hier vorne hin, dann bin ich ganz in deiner Nähe.»
    «Ricarda? Möchtest du dich nicht neben mich setzen?», fragte Frieda und schlug versuchsweise ein paar Töne an. «Ich finde es immer einfacher zu singen, wenn ich am Pianoforte sitze.»
    Zögerlich nahm Ricarda Platz. Erneut traf Pauline ihr vorwurfsvoller Blick. Die übrigen Gäste klatschten höflich Beifall, dann begann Frieda zu spielen.
    Ricardas Blick wanderte durch den Raum, sie öffnete den Mund – doch es kam kein Ton heraus.
    Frieda unterbrach ihr Spiel und legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. «Nur Mut», hörte Pauline sie flüstern. «Sie beißen nicht.»
    Erneut begann sie das Lied. Ricarda atmete heftig ein und aus, ihr Blick irrte wieder zu Pauline, diesmal mit echter Verzweiflung. Plötzlich sprang sie auf und rannte aus dem Raum.
    Julius, der im Sessel neben Pauline saß, wollte ebenfalls aufspringen, doch sie legte ihm rasch eine Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf. «Entschuldigen Sie bitte», sagte sie zu den Anwesenden und erhob sich. «Bestimmt nur ein kleiner Anfall von Lampenfieber. Ich werde mal nach ihr sehen.»
    «Ach, das arme Mädchen», hörte sie Frieda hinter sich sagen. «Dann werde ich Ihnen gerne das Lied vortragen.»
    Während Pauline den Salon verließ, erklang das Pianoforte und dazu Friedas angenehme Singstimme. Seufzend erklomm Pauline die Stufen ins Obergeschoss. Offenbar war Ricarda nicht so mutig, wie sie immer vorgab. Leise klopfte sie an die Schlafzimmertür des Mädchens und trat ein.
    Ricarda saß auf der Bettkante und schluchzte heftig. «Gehen Sie weg!», rief sie aufgebracht. «Sie können mich morgen schimpfen.»
    Pauline setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. «Aber Ricarda, weshalb sollte ich denn mit dir schimpfen?», fragte sie sanft.
    «Weil ich …» Ricarda hob den Kopf. Tränen quollen aus ihren Augen. «Sie sind nicht

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