Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Missverständnis.»
«Das klang aber eher nach einem ausgewachsenen Streit.»
«Papa, Peter wollte meine Puppe kaputt machen.» Mit der schmeichlerischsten Kleinmädchenstimme versuchte Ricarda, ihren Vater auf ihre Seite zu ziehen.
«Aber nur, weil Ricarda so gemeine Sachen zu mir gesagt hat», schimpfte Peter beleidigt.
«Ich hab nur die Wahrheit gesagt.»
«Nein, hast du nicht. Du hast …»
«Ruhe jetzt!» Sowohl die Kinder als auch Julius sahen Pauline erstaunt an, die zwar ruhig, jedoch mit ungewohnter Schärfe gesprochen hatte. «Ihr entschuldigt euch jetzt auf der Stelle beieinander!»
Die Kinder blickten erst sie erstaunt, dann einander mit abgrundtiefer Abneigung an. Ricarda verschränkte die Arme vor dem Körper und schwieg. Peter presste trotzig die Lippen aufeinander.
«Wird’s bald?» Auffordernd sah Pauline auf die beiden hinab. Dann stemmte sie die Hände in die Seiten. «Entschuldigt euch.»
Die Kinder schwiegen einander verbissen an.
«Also gut.» Pauline zog die Brauen zusammen. «Dann bleibt die Puppe so lange bei mir, bis du dich besinnst, Ricarda.»
Das Mädchen schoss einen tödlichen Blick auf sie ab.
«Ätsch!», rief Peter und streckte seiner Schwester die Zunge heraus.
«Und du wirst mir dein Holzpferdchen aushändigen», sagte Pauline unbeeindruckt. «Bis auch du zur Vernunft gekommen bist.»
«Aber ich hab doch gar nichts gemacht!», protestierte er. «Sie hat gesagt …»
«Es interessiert mich nicht, wer was gesagt hat», unterbrach sie ihn. «Entweder ihr vertragt euch wieder, oder ihr bleibt in euren Zimmern, bis ihr euch besinnt. Und gespielt wird heute auch nicht mehr.» Sie strich die Haare der Puppe sorgsam glatt. «Euer Vater hat vollkommen recht – es ist das Fest der Liebe. Und deshalb werdet ihr euch jetzt benehmen. Verstanden?»
Die beiden Kinder blieben stur. Pauline seufzte innerlich.
«Also gut, ab in eure Zimmer. Und wagt es nicht, euch auch nur zu berühren, sonst ist der Nachtisch heute Abend auch gestrichen.»
Ricarda blickte sie scharf an, dann drehte sie sich würdevoll um und stapfte erhobenen Hauptes aus dem Salon.
Peters Kinn zitterte leicht. «Ich hasse Sie», sagte er und rannte ebenfalls aus dem Raum. Seine Schritte waren deutlich auf der Treppe zu vernehmen, denn er trampelte absichtlich laut hinauf.
Pauline wollte ebenfalls den Salon verlassen, doch Julius versperrte ihr den Weg. «Das Fest der Liebe, wie?»
«Die beiden werden sich schon wieder beruhigen.»
«Und ich?»
«Was ist mit Ihnen?» Verwundert hob sie den Kopf.
«An meine Ruhe denkt wohl niemand.»
«Sie hätten sich nicht einzumischen brauchen. Ich komme schon mit den beiden zurecht.»
«Das habe ich gemerkt.»
«Worüber beschweren Sie sich dann?» Sie kniff die Augen zusammen. «Oder ist Ihnen einfach nur langweilig, und Sie suchen einen Grund, sich zu streiten? Dann sind Sie nicht besser als die beiden. Und bei mir sind Sie damit an der vollkommen falschen Adresse.»
«Ach ja?»
«Ja, denn ich streite mich nicht.»
«Nein?»
Sie funkelte ihn warnend an. «Fordern Sie Ihr Glück nicht heraus.»
«Sonst?» Er grinste sie an.
Es fiel ihr schwer, ernst zu bleiben. «Sonst könnte ich in Versuchung geraten, Ihnen ebenfalls den Nachtisch zu streichen, Herr Reuther.» Bevor das Kichern in ihrer Kehle hochsteigen konnte, eilte sie mitsamt der Puppe an ihm vorbei zur Treppe.
Julius sah ihr belustigt nach.
«Also wenn ich es nicht besser wüsste …» Annette Reuther trat aus der Tür des kleinen Wohnzimmers.
«Was dann, Mutter?» Mit noch immer amüsiert funkelnden Augen wandte er sich ihr zu.
Sie verschränkte die Arme vor dem Körper. «Du weißt schon, dass solches Geplänkel zu nichts führt?»
«Was meinst du?»
«Das, was ich gesagt habe. Oder könnte es sein, dass du …» Annette legte den Kopf auf die Seite und musterte ihren Sohn eingehend. «Hast du irgendwelche Absichten in Bezug auf die junge Dame?»
Julius wurde ernst. «Und wenn dem so wäre?»
«Dann frage ich mich allen Ernstes, weshalb du sie als Gouvernante eingestellt hast.»
«Manche Menschen fallen eben nicht gleich mit der Tür ins Haus, Mutter.»
Annette dachte nach. «Nun gut. Ich vermute, du hast einen guten Grund für dein Verhalten.»
«Den habe ich», bestätigte er. «Pauline Schmitz ist … hatte es nicht leicht. Aber es steht mir nicht zu, ohne ihr Einverständnis darüber zu sprechen.»
Verständnisvoll neigte Annette den Kopf. «Wie du meinst. Aber überlege dir gut,
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