Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Bund fürs Leben zu schließen.»
Paulines Wangen glühten mittlerweile, dennoch hielt sie seinem Blick entschlossen stand. «Ich nehme an, dass Sie nach den Ereignissen in der Vergangenheit diesen Maßstab als ähnlich wichtig erachten.»
«Dann gehe ich davon aus, dass Sie diesen Maßstab auch bei sich selbst anlegen werden … Falls sich eine diesbezügliche Situation irgendwann ergeben sollte», fügte er nach kurzer Pause hinzu.
Paulines Gedanken überschlugen sich. Worauf in aller Welt wollte er hinaus? In seinen Augen vermeinte sie wieder dieses schalkhafte Glitzern wahrzunehmen. Aber konnte er über ein derart wichtiges und ernstes Thema wirklich einen Spaß machen? Wollte er sie necken oder …? Oder was?
Pauline riss sich zusammen. Das war Julius Reuther, ihr Arbeitgeber, der vom ersten Tag an jegliche persönliche Verbindung zwischen ihnen ausgeschlossen hatte. Dass er inzwischen ein wenig zugänglicher geworden war und ihr ein paar Dinge aus seiner Vergangenheit anvertraut hatte, änderte daran nichts und war vermutlich nur dem Umstand geschuldet, dass sie nicht unter einem Dach leben und einander wie Fremde begegnen konnten. Also würde es nicht schaden, ihm wahrheitsgemäß zu antworten.
«Sollte es tatsächlich einmal dazu kommen, dass ich vor einer solchen Entscheidung stehe, würde ich ganz sicher auch den Ratschluss meines Herzens berücksichtigen. Wenngleich es gemeinhin nicht als wichtig erachtet wird, ist das Vorhandensein von Zuneigung oder – im besten Falle – von Liebe zwischen Ehegatten eine von den meisten Menschen als wünschenswert betrachtete Eigenschaft einer Ehe.»
Julius lächelte zum ersten Mal, seit sie das Haus der Oppenheims verlassen hatte. «Es freut mich, dass Sie es so sehen, Fräulein Schmitz. Ich darf Sie hoffentlich beim Wort nehmen?» Bevor Pauline antworten konnte, waren sie in der Löwengasse angekommen.
«Kommen Sie», sagte Julius. «Ich helfe Ihnen beim Aussteigen, muss dann aber gleich weiter zur Fabrik.»
Er reichte Pauline seinen Arm, war aber sichtlich darauf bedacht, ihr nicht näher zu kommen als unbedingt notwendig.
Pauline wunderte sich über seine plötzliche Offenheit. Sie beruhigte ihr aufgewühltes Inneres mit der Erklärung, dass sie zu viel in seine Worte hineininterpretiert hatte. Es war sehr schwierig, Julius Reuther einzuschätzen, zumal es ihm eine diebische Freude zu bereiten schien, die Menschen im Ungewissen zu belassen und hin und wieder ein wenig aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Mit einem kurzen Dank strich Pauline ihren Mantel glatt und ging zur Haustür. Derweil hörte sie, wie Julius dem Kutscher bereits das neue Ziel angab. Die Hufe der beiden Pferde klapperten, und die Räder der Kutsche knirschten auf dem steinigen Untergrund, als das Gefährt wendete und zum Tor hinausrollte.
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Kapitel 18
Pauline hatte kaum das Haus betreten, da schallten ihr auch schon die aufgebrachten Stimmen der Kinder aus dem Obergeschoss entgegen. Fragend blickte sie Jakob an, der ihr die Tür geöffnet hatte. Dieser hob die Schultern. «Die beiden sind gerade nach Hause gekommen. Ich weiß nicht, was los ist, aber Peter hat, soweit ich sehen konnte, eine geschwollene Wange.»
«Du liebe Zeit!», rief Pauline erschrocken. «Hat er sich etwa geprügelt? Nicht mit Ricarda!» Eilig zog sie ihre Handschuhe aus und übergab sie zusammen mit ihrem Mantel dem Hausdiener.
«Das kann ich mir nicht vorstellen», antwortete er, doch da eilte sie bereits die Treppe hinauf.
«Nun mach endlich auf!», schrie Ricarda, die vor Peters Schlafzimmer stand und mit den Fäusten gegen die Tür hämmerte. «Das ist doch blöd! Ich brauche meine Malsachen und die … Oh.» Als sie Pauline sah, hielt sie inne. «Fräulein Schmitz! Bitte helfen Sie mir. Peter hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen, und da liegen meine ganzen Malsachen drin.»
«Was ist hier überhaupt los? Warum streitet ihr schon wieder?»
«Ich habe gar nicht gestritten», behauptete Ricarda. «Nein, wirklich nicht! Peter war ganz komisch, als ich ihn von seiner Schule abgeholt habe. Und seine Wange ist ganz dick und rot, so als hätte ihn jemand geschlagen.»
Pauline runzelte die Stirn. «Sein Lehrer?»
«Weiß ich nicht.» Ricarda hob die Hände. «Auf dem Heimweg hat er mich geschubst und an den Haaren gezogen. Aber ich hab nicht zurückgeschubst, weil Sie doch gesagt haben, dass eine Dame so was nicht tut. Dabei hätte er eine Backpfeife verdient, so gemein, wie er
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