Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
Tonfall vollständig ignorierend, erhob sich Pauline und reichte Frieda die Hand. «Wäre der Sonntag Ihnen angenehm?»
«Ja, also … gerne.» Frieda war von Julius’ Gebaren sichtlich eingeschüchtert.
Pauline lächelte ihr aufmunternd zu. «Ich freue mich, liebe Frieda. Nun muss ich mich aber verabschieden. Sie sehen ja, Herr Reuther hat es eilig. Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Einladung und die nette Zeit.»
«Ach nein, ich habe zu danken», widersprach Frieda. «Ich wünsche Ihnen eine angenehme Heimfahrt. Hoffentlich wird es Ihnen nicht zu kalt.»
«Keine Sorge», beruhigte Pauline sie. «Herr Reuther hat warme Decken in der Kutsche auslegen lassen. Und so weit ist der Weg ja nicht. Bis Sonntagnachmittag dann?»
«Ja, gerne. Bis Sonntag.»
Lächelnd trennten sich die beiden Frauen. Pauline ging mit einem scharfen Blick in Julius’ Richtung an ihm vorbei zur Haustür und nahm dort ihren Mantel in Empfang. Er wandte sich daraufhin kurz Frieda zu und verabschiedete sich mit einer knappen Verbeugung.
Sie saßen kaum in der Kutsche, als er sagte: «Sie scheinen sich mit Frieda Oppenheim ja ausgezeichnet zu verstehen.»
Überrascht hob Pauline den Kopf. Sie entfaltete eine der Wolldecken, die neben ihr auf dem Sitz lagen, und breitete sie sorgsam über ihren Beinen aus. «Sind Sie damit nicht einverstanden? Fräulein Frieda ist eine sehr nette junge Dame.»
«Ich kann Ihnen wohl kaum verbieten, jemanden nett zu finden», grollte Julius.
«Nein, das können Sie in der Tat nicht.» Prüfend musterte ihn Pauline. «Möchten Sie mir erzählen, welche Laus Ihnen über die Leber gelaufen ist?»
«Oppenheim hat mir finanzielle Unterstützung und eine Partnerschaft angeboten, nachdem ich einen Großteil meines Kapitals für die Begleichung der Forderungen meiner Gläubiger verwenden musste.»
Erstaunt legte Pauline den Kopf schräg. «Aber ist das nicht sehr freundlich von ihm?»
Er schnaubte. «Sie verstehen schon, dass er mich ködern will?»
«Ködern?» Pauline hob die Augenbrauen.
«Er will mich unbedingt als Schwiegersohn, auch wenn er es nicht offen ausspricht. Noch nicht.»
«Und wäre das so schlimm?»
Julius antwortete nicht darauf, sondern sah sie nur an.
Pauline spürte, wie ihre Wangen sich erwärmten. Ihr Herz kam aus dem Takt. Verlegen räusperte sie sich. «Frieda ist eine liebenswerte junge Dame. Sie könnten es schlimmer treffen.»
Julius’ Kinn zuckte kurz, als Pauline dieselben Worte benutzte wie kürzlich sein Vorarbeiter. «Sie würden mir also dazu raten, ihr den Hof zu machen und damit auf Oppenheims unausgesprochenes Angebot einzugehen?»
Obgleich sie plötzlich sehr aufgeregt war, entgegnete Pauline so ruhig, wie sie nur konnte: «Es steht mir nicht zu, Ihnen in solchen Angelegenheiten Rat zu erteilen.»
«Das ist wahr», knurrte er. «Aber wenn es Ihnen zustehen würde – was würden Sie mir raten?»
«Ich …»
«Ja?»
Pauline fluchte innerlich, dass sie sich in ein solches Gespräch manövriert hatte. Und Julius hatte nichts Besseres zu tun, als sie wieder einmal auf die Probe zu stellen! Vermutlich machte es ihm Spaß, ihr solch indiskrete Fragen zu stellen. Aber es kam überhaupt nicht in Frage, ihm ihre wahren Gefühle zu zeigen. Diese waren allein ihr Problem; irgendwann würde sie sie schon unterdrücken können. Nur gerade jetzt fiel es ihr alles andere als leicht, vor allem, da sie Frieda von Herzen gern mochte.
«Ich denke, Sie sollten tun, was für Sie am besten ist», antwortete sie schließlich.
«Und das wäre in der jetzigen Situation?»
Pauline seufzte. «Vielleicht sollten Sie die Entscheidung nicht von Ihrer derzeitigen Situation abhängig machen. Wenn Sie …» Sie schluckte. «Wenn Sie Fräulein Frieda unabhängig vom Angebot ihres Vaters so viel Zuneigung entgegenbringen, dass Sie ihr den Hof machen möchten, dann zögern Sie nicht.»
«Und wenn nicht?»
«Dann weiß ich nicht, worüber wir hier überhaupt reden, Herr Reuther.»
Julius lehnte sich in seinem Sitz zurück und suchte ihren Blick. «Über das, was für mich am besten wäre … dachte ich.»
«Ja, sicher, aber …»
«Von der praktischen Seite betrachtet, wäre die Ehe mit Frieda Oppenheim mehr als empfehlenswert», sprach er weiter, ohne auf ihren Einwand zu achten. «Doch offenbar legen Sie, liebes Fräulein Schmitz, noch einen anderen Maßstab an eine solche Verbindung an: nämlich den Grad der Zuneigung zwischen zwei Menschen, die möglicherweise gewillt sind, den
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