Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
mit Gebäck, die das Dienstmädchen in diesem Moment brachte. «Liebe Pauline, das beruhigt mich sehr! Wissen Sie, für den Fall, dass mir Herr Reuther wirklich den Hof machen wird, möchte ich wissen, worauf ich mich einlasse.» Sie lachte leise. «Obgleich ich bisher nie den Eindruck hatte, dass er sich noch einmal verheiraten möchte. Ehrlich gesagt kam er mir immer eher abweisend vor.» Sie bot Pauline von dem Gebäck an, die dankend ein Stückchen nahm und auf ihren Teller legte. «Er sieht zwar unbestreitbar gut aus, auch wenn er die Dreißig schon ein paar Jahre überschritten hat, aber sein Auftreten mir oder anderen jungen Damen gegenüber war immer deutlich zurückhaltend und kühl.»
«Das ist seine Art», bestätigte Pauline. «Er gibt nicht gern viel von sich preis.»
«Was ja durchaus sein gutes Recht ist», befand Frieda. «Kaffee? Hier, bitte, bedienen Sie sich! Ich bin so froh, dass er Sie eingestellt hat. Der Einfluss einer Frau im Haus ist nicht zu unterschätzen, sagt meine Mutter. Vielleicht wird er ja ein wenig umgänglicher dadurch. Für die Dame, die er sich zur Gattin erwählt, wird das nur von Vorteil sein – gleich, wer es sein wird. Außerdem sind Sie auch ansonsten bestimmt eine große Bereicherung für einen Haushalt. Ich staunte schon bei unserem ersten Treffen, wie kultiviert Sie sind. Und unsere Gespräche auf dem Neujahrsball waren so anregend und vielfältig. Kinder, die in diesen Genuss kommen, können sich außerordentlich glücklich schätzen.»
Pauline errötete leicht. «Sie übertreiben, Frieda. So selten sind gebildete junge Damen nun auch wieder nicht. Sehen Sie sich selbst an!»
«Ach!» Frieda winkte ab. «Natürlich habe ich eine gute Erziehung genossen, aber mit Ihrem umfangreichen Wissen kann ich nicht mithalten. Wie gerne hätte ich fremde Sprachen gelernt oder mehr über Geographie und Geschichte. Aber mein Vater hielt es für übertrieben, für mich eine Hauslehrerin einzustellen. Eine Frau muss gewandt über die Dinge des Alltags plaudern und eine Schar Gäste bei Laune halten können. Dazu reicht seiner Meinung nach die Ausbildung, die die Volksschule vermittelt. Meine Gouvernante hat mir noch ein paar Dinge beigebracht, aber sie war selbst bei weitem nicht so kultiviert wie Sie, Pauline. Meiner Mutter habe ich es zu verdanken, dass ich neben der Schule noch Unterricht in Gesang und Malerei nehmen und ein Instrument lernen durfte. Zwei, wenn man das bisschen Harfenspiel, das ich kann, dazunimmt. Aber darin habe ich es nie zu großer Fertigkeit gebracht. Das Pianoforte liegt mir mehr.»
«Sie spielen und singen sehr schön», antwortete Pauline.
«Vielleicht können wir später ein wenig gemeinsam musizieren», schlug Frieda vor. «Bestimmt könnte ich noch einiges von Ihnen lernen.»
So verging der Vormittag mit freundlichem Geplauder. Anfangs hatte Pauline sich noch ein wenig deplatziert gefühlt, doch Frieda war von so fröhlicher und herzlicher Natur, dass sich dieses Unwohlsein bald verflüchtigte. Die beiden Frauen entdeckten mehr als eine Gemeinsamkeit und beschlossen, sich bald wieder zu treffen.
«Sie müssen beim nächsten Mal zu uns kommen», erklärte Pauline. «Wenn Sie möchten, kann ich Herrn Reuther bitten, Ihnen seine Bibliothek zu zeigen. Er hat eine wirklich interessante Sammlung von Büchern, die Ihnen gefallen wird.»
«O wie gerne werde ich Ihrer Einladung folgen!», rief Frieda erfreut. «Mein Vater besitzt ebenfalls eine kleine Bibliothek, doch muss ich zugeben, dass die Auswahl begrenzt ist, da er nicht viel liest. Und die Bücher, die vorhanden sind, habe ich längst alle verschlungen.» Sie zögerte. «Wird Herr Reuther denn damit einverstanden sein?»
«Womit werde ich einverstanden sein?» Just in diesem Moment trat Julius Reuther durch die Tür.
Frieda verstummte und errötete verlegen.
Pauline antwortete an ihrer Stelle: «Ich habe Fräulein Frieda eingeladen, mich bald einmal zu besuchen, weil ich ihr die wunderbare Bibliothek in Ihrem Hause zeigen möchte.»
«Tatsächlich.» Begeistert klang Julius nicht. Er wirkte verschlossen und abweisender als bei ihrer Ankunft im Hause Oppenheim. Pauline ließ sich davon jedoch längst nicht mehr beeindrucken. «Ich würde den kommenden Sonntag vorschlagen. Dann habe ich meinen freien Tag, nicht wahr?»
«Sicher, wie Sie wollen.» Julius zuckte mit den Achseln. «Ich möchte aufbrechen, es ist fast Mittag, und ich habe noch zu tun.»
«Selbstverständlich.» Seinen rüden
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